Tumorpatienten standen während der Pandemie von Anfang an im medizinischen Fokus, stellen sie doch eine große und sehr vulnerable Patientengruppe dar. Immerhin ist Krebs weltweit die zweithäufigste Todesursache. Durch ihre Krankheit sind Betroffene auf mehreren Ebenen gefährdet: "Tumorpatienten sind meist älter, der Hauptanteil ist über 70. Das heißt, sie haben eine größere Anzahl an Begleiterkrankungen wie Diabetes oder Bluthochdruck", erklärt der Onkologe Manfred Mitterer, Primar am Südtiroler Franz-Tappeiner-Krankenhaus in Meran.

"Dazu kommt, dass Patienten unter laufender Therapie sehr häufig ein schlechteres Immunsystem haben, weil das ganz gezielt medikamentös herbeigeführt wird." Mit der zusätzlichen Belastung einer Corona-Infektion kann es dann oft nicht mehr umgehen, wodurch die Betroffenen zur höchsten Risikogruppe gehören. Die Wahrscheinlichkeit, an einer Corona-Infektion zu sterben, liegt für Tumorpatienten, je nach Literatur und Studie, zwischen zwölf und sogar 30 Prozent. Es liegt daher nahe, diese Gruppe vorrangig zu impfen. Doch ist die Immunisierung bei ihnen auch wirksam?

Späte Studien zu Impfwirksamkeit

Genau das haben mehrere Institutionen untersucht. Das Problem dabei, wie Mitterer erklärt: "Es gab anfangs keine Studien zu Sicherheit und Wirksamkeit der Impfungen für Tumorpatientinnen und -patienten." Diese Gruppe wird, ebenso wie jede andere Gruppe, die immunsupprimierende Medikamente nehmen muss, aus den Zulassungsstudien ausgeklammert, weil ihr schlechteres Immunsystem die Ergebnisse verfälschen würde. "Das ist prinzipiell nichts Schlechtes, man will ja wissen, wie der Impfstoff in einer gesunden Bevölkerung wirkt", betont Mitterer.

Das hat aber dazu geführt, dass es erst seit einigen Monaten Daten zur Impfung für Krebskranke gibt. "Diese zeigen, dass, wie vermutet, die Ansprechrate zwar niedriger ist, vor allem bei bestimmten Arten wie Knochen- oder Blutkrebs. Doch die Impfung ist trotzdem enorm wichtig. Eine Ausnahme besteht nur, wenn Therapien eingesetzt werden, mit denen man das Immunsystem ganz bewusst lahmlegt und die Antikörperproduktion verhindert. Da ergibt es einfach keinen Sinn zu impfen." Wie wichtig die Impfung für Tumorpatienten ist, zeigt etwa eine Studie des European Institute of Oncology, die im Journal "The Lancet" erschienen ist.

Was fehlte, waren Daten zu jenen Tumorpatienten, die bereits eine Infektion durchgemacht hatten. Hier haben Mitterer und sein Team angesetzt: "Südtirol hatte sehr hohe Infektionszahlen, und auch rund zwölf Prozent unserer Patienten hatten Covid. Da haben wir einen echten Datenschatz, da wir alle wesentlichen Eckpunkte der Personen kennen." Zwölf Prozent der Erkrankten verstarben an der Infektion, weitere zwölf Prozent ließen sich im Anschluss nicht impfen.

Enorm hohe Antikörperzahl

Dabei ist eine Impfung für genesene Tumorpatienten absolut sinnvoll, wie die Südtiroler Studie, die im "European Journal of Cancer" erschienen ist, zeigt. Konkret hat man sich die Immunantwort von 89 Patientinnen und Patienten, die eine Infektion durchgemacht hatten, nach einer Impfung angeschaut. Bei einer Kontrollgruppe von 154 Krebspatienten ohne vorherige Corona-Infektion wurde die Antikörperanzahl nach zweifacher Impfung verglichen. Geimpft wurde mit dem Serum von Biontech/Pfizer zwischen Anfang März und Anfang Mai 2021.

"Nach einer durchgemachten Infektion sind ja bereits Antikörper vorhanden. Impft man dann noch einmal, dann schießt die Antikörperzahl um den Faktor 150 in die Höhe. Ist etwa eine Antikörperzahl von 60 vorhanden, sind es drei Wochen später um die 9.000. Das ist um ein Vielfaches besser als bei Patienten ohne vorherige Infektion. Die hatten nach der ersten Impfung eine Antikörperanzahl von rund 400. Doch nach dem zweiten Stich sind sie deutlich weniger stark angestiegen."

Das zeigt für Mitterer ganz klar, dass die Impfung auch für Krebskranke enorm wichtig ist: "Wir verlieren Patienten, wenn sie sich nicht impfen lassen. Sicher ein Drittel unserer Patienten, die an einer Corona-Infektion verstorben sind, hätten nicht aufgrund ihrer Tumorerkrankung sterben müssen."

Und er betont: "Das ist umso bedeutender, als mittlerweile die deutlich infektiösere Delta-Variante vorherrscht. Natürlich sind Tumorpatienten fragiler und anfälliger für eine Hospitalisierung, auch bei einer doppelten Impfung. Doch die Wahrscheinlichkeit wird doch deutlich reduziert." Und auch bei potenziellen weiteren Mutationen ist für Mitterer die Impfung der beste Schutz. (Pia Kruckenhauser, 19.8.2021)