Urlaubsparadies trifft auf Verteidigungsarchitektur: Blick aus einer ehemaligen Militäranlage auf der kroatischen Insel Lastovo.
Foto: Anamarija Batista und Goran Škofić

Wo kristallklares Meer auf schroffe Ufer trifft, urlauben die Österreicher mit Vorliebe. Kroatien rangiert hierzulande regelmäßig unter den beliebtesten Reisezielen. Heute ist der Massentourismus das wohl prägendste Element an der Adriaküste.

Dem war nicht immer so, wie das vom Wissenschaftsfonds FWF geförderte Forschungsprojekt "Kollektive Utopien der Nachkriegsmoderne: Adriatische Küste als Urlaubs- und Verteidigungsparadies" zeigt. Im Zentrum stehen die Phänomene Militär und Massentourismus, ihr Einfluss auf die regionale Entwicklung und das Leben der Bevölkerung. Die Forscherinnen Anamarija Batista von der Akademie der bildenden Künste Wien und Antonia Dika von der Kunstuniversität Linz widmen sich der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg auf den Inseln Lastovo, Vis, Mali Lošinj und Brijuni.

Nachkriegsmoderne

In der Nachkriegsmoderne wurde die Sozialistische Föderative Republik Jugoslawien stark urbanisiert. Neben baulichen Strukturen entstanden gesellschaftliche Gefüge, denen besondere Ideale zugrunde lagen. "Ab den 1950er-Jahren war die Idee der sozialistischen Selbstverwaltung prägend, die Fabriken gehörten den Arbeitenden, denen auch der Urlaub am Meer ermöglicht werden sollte", erklärt Batista, Projektleiterin an der Akademie der bildenden Künste Wien.

Ein Teil der Betriebsgewinne wurde in den Bau von Hotelanlagen für die Belegschaft investiert. Dieses Konzept erlaubte weiten Teilen der Bevölkerung, die arbeitsfreie Zeit an der Küste zu verbringen. "Möglichst viele Menschen sollten Arbeit und Zugang zu Gütern haben, die früher als Luxus galten", sagt Batista. "Die Vorstellung, Strukturen kollektiv zu denken, war möglicherweise befreiend für die Menschen, da sie den Besitz und die Instandhaltung gemeinsam betreuten."

Weniger sichtbar trieb zeitgleich die Jugoslawische Volksarmee (JNA) die Urbanisierung der adriatischen Meeresufer voran. Aus Angst vor einem Nato-Angriff rüstete der blockfreie Staat seine Küste im großen Stil auf. Im Geheimen entstanden Küstenartillerie, Luftabwehrposten, Bunker und Kasernen. Als Identitätsstifter hatte das Militär auch hohen symbolischen Wert. Unter dem Motto "Bratstvo i jedinstvo" verkörperte es die "Bruderschaft und Einheit" aller Völker Jugoslawiens. "Es war eine emotional aufgeladene Ideologie und ein vereinendes Narrativ", beschreibt Batista.

Observation und Entspannung

Trotz der Unterschiedlichkeit von Tourismus und Militär stoßen Batista und Dika in ihrem durch das Kunstforschungsprogramm PEEK geförderten Projekt immer wieder auf Parallelen. "In beiden Welten funktioniert der Tag nach choreografierten Regeln, es gibt festgelegte oder vorgeschlagene Tagesabläufe. Selbst der Blick in die Ferne oder das Erkunden der Naturlandschaft kann der Observation oder aber der Entspannung dienen", sagt Batista.

In der Dokumentation dieser spannungsvollen Zeit klaffen jedoch große Lücken. Vieles ist fragmentiert, verloren oder nicht aufgezeichnet. Details aus dem damaligen Leben, aber auch die Lage geheimer Militärstrukturen erfuhren die Forschenden in Interviews mit der lokalen Bevölkerung, Tourismuskräften und Ex-Militärs. Dabei hörten sie auch Bedauern, viele Bewohner beklagen, dass die Anlagen verfallen. Denn ob für Armee oder Tourismus, die Infrastruktur wurde von der Bevölkerung geschaffen, die daran auch teilhaben konnte. Als Orte der Zusammenkunft zwischen Armee und lokaler Bevölkerung galten die "Dom-JNA" (übersetzt "Heim der JNA"). Hier veranstaltete das Militär öffentliche Konzerte, Tanzabende oder Ausstellungen.

Bauboom und Kriegswehen

Der Baudruck auf die Küste stieg ab den 1960er-Jahren, Jugoslawien erkannte ausländische Gäste als lukrative Einnahmequelle. Plötzlich fand sich das Land in einer paradoxen Situation wieder, führt Batista aus. Der soziale Auftrag stand dem Wunsch gegenüber, am freien Markt teilzunehmen.

"Einerseits war die Stimme nach Erholungsraum und Zugang für alle laut, andererseits die Stimme nach möglichst vielen Touristen, um sich wirtschaftlich zu entwickeln." Als Besuchermagnet hatte die Region einen Vorteil: Sie stand Menschen aus den Nato- und den Warschauer-Pakt-Staaten offen. "Am Strand trafen sich alle, das produzierte die fantastische Atmosphäre des Schwebezustands", sagt Batista.

Dem Bauboom folgte die Zäsur des Jugoslawienkriegs. Das Ideal des Kollektiven wich dem Nationalismus eigenständiger Staaten, in denen die freie Marktwirtschaft Einzug hielt. Die Idee vom Luxus für alle wich der Realität rapide sinkender Kaufkraft. "Früher konnten sich die meisten Leute in den Hotelanlagen einen Kaffee leisten, heute sind die Preise zu hoch", schildert Batista. Einstige Treffpunkte sind nun einer kaufkräftigen Klientel vorbehalten.

Dieser Trend zeige sich zwar weltweit, die Unterschiede an der Adriaküste waren das enorme Tempo und der Kontrast. "Die Menschen wurden von einem Extrem ins andere geworfen. Heute blickt man auf die Zeit wie auf ein Phänomen der Vergangenheit, das nicht mehr wiederholbar ist", sagt die Forscherin. "Während die Menschen erzählen, sprechen sie aber mit großer Freude und Lebendigkeit von der damaligen Zeit."

Ungewisse Zukunft

Inzwischen stellt sich die Frage, welche Folgen Privatisierungen touristischer und alter militärischer Strukturen auf die lokalen Ortschaften haben und haben werden. Gab es ehemals Fabriken und Industrie, ist die Haupteinnahmequelle heute der Tourismus. "Die Menschen wurden von Teileigentümern zu Dienstleistern", resümiert sie. Mancherorts haben Bürger und Gemeinden Militärbauten dennoch in Gemeinschaftsräume umgewandelt. Sie dienen als Wohnungen, Bibliothek oder Bäckerei.

Um die Erinnerungen nicht weiter verblassen zu lassen, werden die Forschungsergebnisse in Kurzfilmen, einer Publikation und einer Wanderausstellung aufbereitet. Letztere wird dezentral organisiert und erstmals auf Vis, in Belgrad und Sarajevo gezeigt. "Vielleicht können wir dadurch Gespräche um neue kollektive Nutzungsformen anstoßen", hofft Batista. (Marlene Erhart, 28.7.2021)