Mykola Ridnyi thematisiert geopolitische Verwerfungen, indem er vergrößerte mikroskopische Aufnahmen von Netzhautverletzungen zeigt, auf die er Fotos pinnt: "Speck in the Eye" (Detail).

Foto: Daniel Jarosch

Die Havarie eines Containerfrachtschiffs im Suezkanal sorgte vor einigen Monaten für einen gigantischen Stau auf einer der wichtigsten Welthandelsrouten und damit international für Schlagzeilen. Das öffentliche Interesse für das Schicksal der Schiffscrew, die nach dem Unglück monatelang in Ägypten festgesetzt wurde, war dann nicht mehr ganz so ausgeprägt.

Die arbeitsrechtlichen Bedingungen in der Schifffahrtsindustrie sind allerdings auch unter unfallfreien Umständen zum Teil fragwürdig, und das hat nicht zuletzt mit dem Phänomen der sogenannten Billigflaggen (englisch: Flags of Convenience) zu tun. Reedereien lassen ihre Schiffe dabei unter der Flagge eines anderen Landes fahren, weil das Lohnkosten sparen und Steuervorteile bringen kann. Damit beschäftigte sich der in Kanada geborene und in Kairo lebende Künstler Ash Moniz auch schon bevor die (übrigens von einer japanischen Firma betriebene, aber unter panamaischer Flagge fahrende) Ever Given im Suezkanal auf Grund lief.

In Moniz’ Videoinstallation sorgt der Wind für mittelschweren Wellengang, aber nicht auf dem Meer, sondern auf der Plastikplane über einem österreichischen Gemüseacker. Man darf das als Metapher dafür lesen, dass auch auf hoher See nicht alles das ist, was es vorgibt zu sein. Auch sonst wird hier nicht mit Assoziativem gespart, To be inconvenienced ist eine auf penibel recherchierten Fakten zur globalen Warenökonomie basierende filmische Fiktion.

Gewaltdarstellungen

Die aktuelle Gruppenschau im Innsbrucker Kunstpavillon zeigt Arbeiten der diesjährigen Fellows im Künstlerhaus Büchsenhausen, der gemeinsame Nenner ist im Titel Transgressions of the Real festgeschrieben: Es geht um künstlerische Auseinandersetzungen mit wirtschafts- und geopolitischen Realitäten. Dazu taugt auch das Mittel der Abstraktion, wie sich in Mykola Ridnyis stark vergrößerten mikroskopischen Aufnahmen von Netzhautverletzungen zeigt. Sie kommen wie geologische Strukturen daher, beschäftigen sich aber eigentlich mit der Frage der medialen Darstellung von Gewalt.

Ridnyi, dem der Auftritt im Pavillon der Ukraine auf der Venedig-Biennale 2015 zu größerer Bekanntheit verhalt, schmuggelt kleine Fotos im Format von Straßenstickern in diese Netzhautbilder, man sieht darauf Szenen von sogenannten Blind Protests aus aller Welt, bei denen sich Demonstranten mit den Opfern polizeilicher Gewalt solidarisieren.

Gewaltdarstellungen, die Geschichte politischer Bewegungen, Erinnerungspolitik, Geschichtsschreibung als eine Frage der Perspektive: Dazu werden in dem als eine Art Camera obscura gestalteten Ausstellungsraum allerlei Ahnungen geweckt, unter anderem auch in Yara Haskiels traumwandlerischem Essayfilm über die jüdische Geschichte von Thessaloniki. (Ivona Jelčić, 28.7.2021)