In "The Babysitter" von Julie Blackmon fragt man sich, wer hier eigentlich die Kinder beaufsichtigt.
Foto: Julie Blackmon, Courtesy Robert Mann Gallery

Zwei lebensgroße Puppen sitzen nebeneinander am Boden. Ihre Körper stecken regungslos in schmutzig-gelben Regenmonturen. Nur ihre animierten Kindergesichter scheinen sich zu bewegen, sie sprechen, zwinkern und stellen sich existenzielle Fragen: "Bist du glücklich?" oder "Wer hilft dir?". Durch langes Schweigen dazwischen macht sich eine düstere Schwere bemerkbar – wer kümmert sich denn um die beiden? Die Installation des Künstlerduos Glaser/ Kunz im Halbstock vor der Ausstellung Wilde Kindheit im Lentos Linz ist deren Auftakt – auf die inhaltliche Ernsthaftigkeit der Arbeit trifft man darin erst später wieder.

Zum Glück. Denn die große Gruppenschau, die 350 Werke von 170 Künstlerinnen und Künstlern von 1900 bis heute vereint, startet mit der Unbekümmertheit der Jüngsten unserer Gesellschaft. So wie es sein sollte: In den Fotografien von Alain Laboile turnen und tanzen die eigenen Kinder furchtlos durch die Natur, sind nackt und voller Dreck. In einem Stop-Motion-Video von Pedro Marzorati spielen Kinder durch ein buntes Bällebad. Ihrer Fantasie scheint keine Grenze gesetzt.

In den Fußstapfen

Die Themenausstellung widmet sich dem ersten Lebensabschnitt in all seinen Facetten und fächert ihn mit einer sternförmigen Architektur auf. Das von Sabine Fellner entwickelte und gemeinsam mit Elisabeth Nowak-Thaller kuratierte Konzept bietet Einblicke in insgesamt neun Kapitel, die nach Zuständen benannt sind: von diszipliniert über verträumt bis ohnmächtig. Eine kindergerechte Hängung, eine Leseecke sowie ein Saalheft für Erwachsene und Kinder zeigt, dass die Schau auch für ihre Protagonisten gemacht ist.

Das Zentrum des Aufbaus sind Videointerviews mit bekannten Künstlern und Künstlerinnen wie William Kentridge, Patti Smith oder Jonathan Meese, in denen diese berichten, inwiefern ihre Kindheit prägend war für ihr kreatives Schaffen. Passend dazu werden Vorstellungen und Anforderungen verbildlicht, die Eltern an ihre Nachkommen haben oder Erwachsene an Kinder stellen.

Exemplarisch dafür stehen der verwöhnte Babyking von Stephan Balkenhol oder die Installation von Frenzi Rigling, wo Kinderschuhe jeweils in jene von Erwachsenen gesteckt wurden. Repräsentative Kinderporträts wie von der Tochter des Malers Albin Egger-Lienz, auf dem das Mädchen wie eine Frau aussieht, oder auch Fotos disziplinierter Kleinstsportlerinnen erinnern mehr an die Erwartungshaltung anderer. Was ist, wenn der eigene Nachwuchs aber nicht in die Fußstapfen treten möchte?

Missbrauch und Gewalt dürfen in so einer Ausstellung leider nicht fehlen. Im Bild: "Obsorge" (2008) von Maria Lassnig.
Foto: Maria Lassnig Stiftung / Foundation; Bildrecht, Wien 2021

Unbeschwert bis unheilvoll

Immer wieder wechselt die Ausstellung zwischen ernsteren und leichten Kapiteln und schafft dadurch ein spannendes und ausgewogenes Verhältnis. Nur die schönen Seiten zu zeigen wäre einseitig gewesen, Kindheit kann auch ihre Abgründe haben.

So findet man da eine spielerische Installation der Linzer Künstlerin Katharina Lackner, die aus von Kindern gefundenen Objekten besteht: Muscheln, Stöcke und Zeichnungen zeugen von unbeschwerten Sommertagen. Unweit davon hängen hingegen düstere Zeichnungen von Auguste Kronheim, die an unheilvolle Objekte ihrer Kindheit erinnern. Bei Gottfried Helnwein liegt ein einbandagiertes Kind im Bett, an seinen Händen trägt es Stoffkrokodile, sein Blick ist abgewandt.

Es folgen Aktbilder junger Mädchen von Oskar Kokoschka, Fotografien von Kindern mit Waffen oder ein gruseliges Bett aus Stofftieren. "Missbrauch und Gewalt dürfen in so einer Ausstellung leider nicht fehlen", so die Kuratorinnen. Auch Krieg, Verlust der Eltern und Obsorgestreit (Maria Lassnig) sind Themen, die aufgegriffen werden. Etwas banaler – wenngleich sehr präsent im Alltag – sind dann die Darstellungen von Kindern, die sich mit Laptops, Handys oder Spielkonsolen überfordert und süchtig ihre Zeit vertreiben beziehungsweise einfach ruhiggestellt werden.

Pubertäres Ende

Dass die Schau mit dem Kapitel "pubertär" und einem grandiosen Dance-Battle-Video des französischen Künstlers Clément Cogitore endet, ist nur logisch, macht Spaß und zollt dieser turbulenten Phase aus Coolness und Unsicherheit Respekt.

Dennoch franst die wirklich große Schau an dieser Stelle dann leicht aus, die letzten Werke wirken leider etwas zwanghaft: Man fragt sich, wer hier in den Fotografien von Nilbar Güreş oder Lou Yang wirklich noch jugendlich ist und wer eigentlich längst erwachsen. Aber vielleicht ist genau das das Rätsel der endenden wilden Kindheit. (Katharina Rustler, 28.7.2021)