Rosa Diketmüller, Assistenzprofessorin am Institut für Sportwissenschaft der Universität Wien, schreibt in ihrem Gastkommentar über absurde Kleidungsvorschriften für Frauen im Sport und warum es endlich ausgewogene Geschlechtermachtverhältnisse braucht.

Wieder einmal steht der Sport in der Sexismuskritik. Diesmal erregen überholte Kleidervorschriften im Beachhandball die Gemüter. Während die Höschen-"Länge" von zehn Zentimetern bei den Athletinnen nicht überschritten werden darf, darf sie bei Männern keinesfalls unterschritten werden. Man fragt sich: Warum hat der Beachhandball nicht vom Beachvolleyball gelernt, wo dieselbe Diskussion schon vor Jahren gelöst wurde? Und wie sexistisch ist der Sport eigentlich nach wie vor?

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Signal gegen Sexualisierung: Die deutschen Turnerinnen, im Bild Elisabeth Seitz, haben bei den Olympischen Spielen im Teamwettbewerb Ganzkörperanzüge getragen.
Foto: Reuters / Mike Blake

Sexismen im Sport sind in der Tat kein Phänomen des vergangenen Jahrtausends und zeigen sich in vielerlei Formen: von anzüglichen Bemerkungen und abschätzigen Kommentaren über das Zeigen, Übermitteln oder Veröffentlichen von unangebrachtem Bildmaterial, unterschiedliche Wertschätzungen von Menschen oder deren Leistungen, zum Beispiel ungleiche Prämien, bis hin zu Extremformen wie sexueller Belästigung. Ziel ist es, bewusst oder auch unbewusst Einzelpersonen oder Gruppen aufgrund von Geschlecht oder sexueller Orientierung zu benachteiligen, abzuwerten, zu verletzen oder zu unterdrücken. Wirksam werden derartige Formen nur dann, wenn es eine geteilte Vorstellung innerhalb einer Kultur über festgeschriebene Geschlechterrollen und Verhaltensmuster gibt sowie eine Rangordnung unter den Geschlechtern: in der Regel, dass Männer "mehr wert" sind als Frauen, Heterosexuelle "mehr wert" sind als Homosexuelle und so weiter. Gepaart mit Macht war und ist es offenbar immer noch möglich, dass sexistisches Verhalten ungestraft und unkommentiert bleibt.

Die letzte Arena

Der Fall des ehemaligen japanischen Premierministers und mittlerweile zurückgetretenen Vorsitzenden des Organisationskomitees der Olympischen und Paralympischen Spiele in Tokio, Yoshiro Mori, ist ein typisches Beispiel dafür, wie sicher sich auch ranghohe internationale Funktionäre wähnen, wenn sie sich abschätzig über Frauen äußern. In einem Land, in dem Frauen in Vorstandsetagen und Politik selten zu sehen sind, löste die Aussage Moris, dass Frauen zu viel reden würden, massive Kritik aus. Nach anfänglicher Weigerung trat er erst aufgrund des massiven internationalen Drucks zurück.

Sexistisches Verhalten wird oft auch als Abwehrhaltung gegenüber jenen Frauen (und Männern) gelesen, die Diskriminierungen aufzeigen und gleiche Rechte und Plätze einfordern. In der Literatur spricht man auch von der Angst, die letzte Arena der Männlichkeit zu verlieren, wenn Frauen zu dominant und jenseits traditioneller Rollen in den Sport eindringen.

Doppelte Standards

Sieht man sich die Rahmenbedingungen in Sport und Spitzensport an, dann spricht vieles dafür, dass der Handlungsbedarf in Richtung Geschlechtergerechtigkeit groß ist: Frauen als Trainerinnen und Funktionärinnen sind deutlich unterrepräsentiert, der Anteil an Athletinnen in der Sportberichterstattung liegt – abgesehen von Großveranstaltungen wie Olympischen Spielen – nach wie vor bei mageren zehn bis 15 Prozent, und von gleicher Bezahlung sind selbst Spitzenathletinnen noch meilenweit entfernt: Gerade einmal zwei Frauen schafften es 2020 in die berühmte Forbes-Liste der bestbezahlten Athletinnen und Athleten.

Während Mädchen und Frauen im Freizeit- und Breitensport zunehmend aktiver sind, bleibt der Medien- und Spitzensport nach wie vor eine weitgehend männliche Domäne. Hinzu kommen noch sogenannte doppelte Standards, wonach Sponsoren insbesondere dann zu gewinnen sind, wenn die Athletinnen nicht nur sportlich erfolgreich sind, sondern auch als Frauen attraktiv sind. "Sex sells" gilt auch für den Sport und erhöht deren medial verwertbares Interesse, wie das Beispiel um Teamkalender mit leicht bekleideten Athletinnen und Athleten zeigt. Angeblich wurden die kritisierten Kleidervorschriften für den Beachvolleyball deshalb vorgegeben, um über höhere Einschaltquoten die Chancen, Sponsoren zu gewinnen, zu steigern.

Viele Athletinnen setzen ihre Attraktivität durchaus gezielt ein, um sich und ihre Leistungen besser präsentieren und darüber ihre sportliche Karriere ermöglichen zu können. Frauen werden somit in gewisser Weise "zwangsbeteiligt" an Prozessen der Sexualisierung im freien Spiel der (ungleichen) Mächte. Dramatisch ist es, wenn diese (unfreie) "Wahl des Mitmachens" durch Vorschriften torpediert zum Zwang wird und keine Möglichkeit mehr besteht, sich dem zu widersetzen.

Frühzeitiger Ausstieg

Vermutet wird, dass es gerade diese subtilen Formen des Sexismus sind, die zu einem frühzeitigen Ausstieg von Mädchen und Frauen aus dem Vereins- und Wettkampfsport führen. Angesichts der vielen positiven Wirkungen und Momente, die ein sportliches Engagement in welcher Form auch immer mit sich bringen kann, wäre es dringend an der Zeit, zu handeln und überholte Muster abzuschütteln.

So gesehen sind die öffentlichen Debatten über und Reaktionen auf Sexismus im Sport ein Zeichen dafür, dass es dem Sexismus im Sport zunehmend an den Kragen geht. Was lange als Kavaliersdelikt galt, wird nun entlarvt. Athletinnen und Athleten beziehen aktiv Stellung, internationale Organisationen nutzen die Macht der sozialen Medien und versammeln sich in ihrem Widerstand lautstark gegen jede Art von Ismen, und auch die Verbände sind zunehmend gefordert, längst verordnete Maßnahmen umzusetzen wie Antidiskriminierungsgesetze oder Quotenvorgaben im Sport, um althergebrachte Ordnungen über Bord zu werfen.

Klar ist, dass ausgewogene Geschlechtermachtverhältnisse im Sport und moderne Geschlechterbilder in den Köpfen die beste Prävention gegen Sexismus sind. Auf den Punkt gebracht hat dies das deutsche Gymnastikteam in Tokio mit seiner Entscheidung für langhosige Dressen und dem Verweis auf den Wohlfühlfaktor als zentrale Entscheidungsgröße. (Rosa Diketmüller, 28.7.2021)