Bermuda hat nicht nur ein Dreieck

Schnell, wofür steht das Länderkürzel BER bei Olympia? Nein, der nun doch irgendwie fertiggebaute Berliner Flughafen hat keine sportliche Abordnung zum Marathonbewerb geschickt. BER steht unter den fünf Ringen für Bermuda.

Neben dem flugzeugverschluckenden Dreieck und kurzen Hosen kann man die Inselgruppe im Atlantik seit gestern auch für Flora Duffy kennen. Die Triathletin bescherte Bermuda die erste Goldmedaille seiner Geschichte, davor hatte nur der Boxer Clarence Hill 1976 in Montreal Schwergewichtsbronze geholt.

Mit rund 62.000 Einwohnern ist das britische Überseegebiet nun der kleinste Staat mit einer Goldmedaille bei Sommerspielen – bei Winterspielen war Liechtenstein mit Hanni Wenzels Goldenen 1980 noch kleiner.

Das britische Mutterland hätte die bermudische Geschichtsschreibung gerne verhindert, Duffy ließ Abwerbungsversuche in ihrer Jugend ins Leere laufen. Sie verzichtete so auf lukrativere Förderungen, entwickelte sich zu einer der weltbesten Triathletinnen und krönte sich nun im Alter von 33 Jahren.

"Es war unglaublich viel Druck. Ich würde niemandem empfehlen, fünf Jahre lang die Favoritin auf Olympiagold zu sein. Aber jetzt ist es das alles wert", sagte Duffy. "Jetzt dreht ganz Bermuda durch, das macht es so besonders."

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Dem Kosovo reicht eine Nachbarschaft

Der Kosovo ist ziemlich klein. Nicht ganz so winzig wie Bermuda, aber bei knapp 1,9 Millionen Einwohnern darf man nicht unbedingt mit olympischen Ehren rechnen. Die Stadt Peja/Pec ist noch ein bisschen kleiner, sie kommt auf nicht einmal 100.000 Einwohner.

Judokas aus Peja haben in den zwei jüngsten Olympischen Spielen mehr Goldmedaillen als Athleten aus Mexiko, Indien, Indonesien und der Türkei geholt. Diese Länder kommen auf immerhin 1,8 Milliarden Einwohner.

Der Quell des kosovarischen Glücks ist ein kleines Dojo. Driton "Toni" Kuka war 1992 selbst einer der besten Judokas seiner Gewichtsklasse, als ethnischer Albaner weigerte er sich aber, für Jugoslawien bei Olympia anzutreten. Nach dem Krieg begann er, Kinder aus der Nachbarschaft zu trainieren.

Ein solches Kind war beispielsweise Majlinda Kelmendi, die sich 2016 bei den ersten Spielen des jungen Staates mit Gold unsterblich machte. Oder auch Distria Krasniqi, die am Samstag im Finale der Klasse bis 48 kg siegte. Oder Nora Gjakova, die vorgestern die Goldmedaille der Kategorie bis 57 kg einsackte. Oder Gjakovas Bruder Akil, der die Medaillenränge als Siebenter verpasste.

"Es gibt im Kosovo nicht viel außer die Schule", sagt Nora Gjakova. "In Peja gibt es immerhin Judo, mit dem du es an die Weltspitze schaffen kannst."

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Hongkong hat jetzt auch männliches Gold

Hongkong hatte lange warten müssen. Seit 1996 hatte die britische Ex-Kolonie keine olympische Goldmedaille mehr erlebt, die Mistralseglerin Lee Lai-shan hatte der britischen Ex-Kolonie damals die Edelmetallpremiere verschafft.

Seitdem gab es noch Tischtennissilber 2004 und Bahnradbronze 2012. Es war also Zeit für Edgar Cheung Ka-longs Auftritt. Der 24-Jährige war im Florettfechten beileibe nicht als Favorit zu bezeichnen, schon im Viertelfinale hatte er gegen den Russen Kyrill Bodoratschew mit 15:14 größte Mühe.

Im Finale baute sich der Italiener Daniele Garozzo vor Cheung auf. Der Olympiasieger, Weltmeister und Topfavorit ging flott 4:1 in Führung. "Ich habe mir gesagt: ‚Ich bin nichts gegen ihn, ich kämpfe einfach bis zum Schluss‘", sagte Cheung nach dem Finale. Das tat er durchaus erfolgreich, gewann das Duell 15:11 und beendete die Durststrecke seiner Heimat.

"Die Reaktion zu Hause war verrückt", sagte Cheung. "Es bedeutet mir viel, der Welt zu zeigen, dass wir das können. Wir sind nicht nur eine Stadt, wir können um den Sieg kämpfen." Zum Drüberstreuen steht der Linkshänder nun als erster männlicher Olympionike in Hongkongs Geschichtsbüchern – die werden von der Partei des chinesischen Festlands derzeit zwar gerne "überarbeitet" oder ersetzt, die Sportgeschichte dürfte dabei aber eher unangetastet bleiben.

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Kuwaits Fanliebling hatte endlich eine Flagge

Abdullah Alrashidi hatte das eigentlich alles schon erlebt. Der 57-jährige Sportschütze aus Kuwait war 2016 zum Fanliebling mutiert und wurde im Skeet-Bewerb Dritter. Genau das gelang ihm auch am Sonntag auf der Asaka Shooting Range, aber diesmal freute sich der Schnauzbart der Herzen ungleich mehr.

"Wer seine Flagge nicht sieht, stirbt" sagte Alrashidi 2016, nachdem er mit gesenktem Haupt auf dem Podium gestanden war. Das internationale olympische Komitee (IOC) hatte Kuwait 2015 suspendiert, weil sich die Regierung zu sehr in sportliche Belange einmischen wollte.

Kuwaits Athleten durften unter der Flagge des IOC antreten, Fehaid Aldeehani gelang im Doppel-Trap gar die Goldmedaille – ein Erfolg, auf den das offizielle Kuwait bis heute wartet. Alrashidi schoss damals in einem Dress des FC Arsenal, brasilianische Fans adoptierten den quasi Staatenlosen wegen seines Schnauzers. Auch 2021 erhielt er von den kaum besetzten Rängen viel Unterstützung: "Alle lieben mich, weil ich alt bin."

Da das IOC Kuwaits Suspendierung mittlerweile aufgehoben hat, durfte Alrashidi bei seinen siebenten Spielen wieder seine geliebte Flagge zeigen. Dass das eigentlich erst ab der Medaillenzeremonie erlaubt ist, war dem Falkner herzlich egal, er packte sie sofort aus: "Ich war zu glücklich, meine Flagge zu sehen."

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Die Philippinen haben lange genug gewartet

Es war ein sehr, sehr langer Weg von David Nepomuceno bis zu Hidilyn Diaz. Nepomuceno war 1924 der erste Athlet, der sich für die Philippinen auf die Jagd nach olympischem Gold machte, seine Bemühungen über 100 und 200 m endeten in den Vorläufen.

Der bei der Luftwaffe engagierten Diaz erging es am Sonntag ungleich besser: Die 30-Jährige hob in ihrem ersten Versuch 127 Kilo, kam im Zweikampf auf den olympischen Rekord von 224 Kilo und sorgte damit für die erste philippinische Goldmedaille der Geschichte.

Dass Diaz diese 127 Kilo packte, ist aus mehreren Gründen bemerkenswert: Grundlegend ist zu erwähnen, dass die gute Frau keine 55 Kilo wiegt. Gut, das gilt auch für ihre Konkurrenz – im Fall der Filipina kam aber erschwerend hinzu, dass die nach Pandemiebeginn monatelang in Malaysia gestrandete Heberin im Lockdown reichlich miese Trainingsbedingungen hatte.

Vergangenen Frühling bastelte Diaz aus einem Bambusstock und riesigen Wasserflaschen eine Langhantel, ihre Bergauf-Sprints machte sie in der Einfahrt eines Parkhauses. "Ich habe so viel geopfert. Ich konnte so viele Monate und Jahre nicht bei meinen Eltern sein, das Training war eine Qual", sagte Diaz, deren ersten Trainingsgewichte aus Beton und an einem Plastikrohr befestigt waren. "Aber Gott hatte einen Plan." (Martin Schauhuber, 28.7.2021)

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