Der Moment der Bronzenen.

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Er hat fünf Schwestern und zwei Brüder, da ist es kein Wunder, dass Shamil Borchashvili sagt: "Bei uns zu Hause geht es ab!" Am Dienstagvormittag ist es vor dem TV-Gerät in einem Wohnzimmer in Marchtrenk in Oberösterreich besonders laut geworden. Shamil (26) sah die anderen nicht, aber sie sahen ihn – im Fernseher, in Tokio.

Der Judoka hat bei den Olympischen Sommerspielen die zweite österreichische Medaille gewonnen. Sie kam nicht ganz so sensationell daher wie die goldene der Anna Kiesenhofer. Aber fast. Borchashvili war in der Klasse bis 81 Kilogramm als 22. der Weltrangliste angereist. Viermal siegte er, nur einmal gab er sich geschlagen – als es gegen Saeid Mollaei ums Finale ging. Mollaei ist 2019 wegen politischer Repressalien aus dem Iran geflüchtet und tritt nun für die Mongolei an.

Borchashvili musste schon in jüngeren Jahren eine neue Heimat finden. Als er zehn Jahre alt war, kam die Familie aus Tschetschenien nach Wels, wo die drei Buben mit dem Judo begannen und sich flott als talentiert erwiesen. Talent ist freilich nicht alles im Sport – und der Sport nicht alles im Leben. Borchashvili legte 2018 die HTL-Matura ab und konzentrierte sich erst danach voll aufs Judo, auch mit familiärer Unterstützung im Verein LZ Multikraft Wels. Der jüngere Bruder Wachid habe ihn "jeden Tag gepusht", auch der ältere Bruder Kimran ist ein blendender Judoka und reiste sogar als Trainingspartner nach Tokio.

Borchashvili nennt Muhammad Ali als Vorbild. Er selbst gilt eher als Leisetreter denn als Sprücheklopfer – sei’s drum, er boxt ja auch nicht. Humor hat er allemal, in der Küche könne man ihn öfter antreffen als in der Kraftkammer, so beschreibt er sich selbst. Zwei Frauen ist Shamil Borchashvili besonders dankbar. Die eine ist Österreichs deutsche Nationaltrainerin Yvonne Bönisch, selbst Olympiasiegerin 2004, die ihn hervorragend eingestellt habe. Die zweite ist Sabrina Filzmoser. Österreichs herausragende Judoka wünschte sich nach ihrem Out in Tokio eine Medaille eines Teamkollegen.

Borchashvili ist froh, dass er den Wunsch seiner Vereinskollegin erfüllen konnte. "Sabsi hat uns von zu Hause abgeholt, ins Training gebracht, finanziell unterstützt." Filzmoser, sagt er, sei seine "große Schwester", auf eine mehr kommt es nicht an. Und er redet schon von Paris 2024, von den nächsten Sommerspielen. Nicht auszuschließen, dass es dort und daheim dann wieder abgehen wird. (Fritz Neumann, 27.7.2021)