Die Präsidentschaftswahl liegt noch in weiter Ferne, planmäßig soll sie erst am 2. Oktober 2022 stattfinden – doch ihren Schatten wirft sie schon heute voraus: Amtsinhaber Jair Messias Bolsonaro poltert schon seit Wochen gegen das Tribunal Superior Eleitoral, das oberste Wahlgericht (TSE), und stellt Wahlbetrugsvorwürfe in den Raum. Selbst eine Aussetzung der Wahl scheint möglich.

Jair Bolsonaro sieht seine Wiederwahl durch Wahlbetrug gefährdet. Tatsächlich sind seine Umfragewerte im freien Fall – nicht zuletzt wegen seines Krisenmanagaments.
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Nicht zuletzt wegen seiner chaotischen Performance beim Managen der Corona-Epidemie dümpeln Bolsonaros Umfragewerte dahin. Mehr als die Hälfte der Brasilianer ist mit seiner Amtsführung unzufrieden: 51 Prozent bescheinigen ihm einen schlechten oder gar schrecklichen Job. Auch ein Amtsenthebungsverfahren findet eine absolute Mehrheit gerechtfertigt. Der schärfste Herausforderer, Ex-Präsident Luiz Inácio Lula da Silva, liegt seit Monaten klar vor dem Amtsinhaber und könnte nach zwölf Jahren wieder in den Palácio da Alvorada in Brasilía einziehen. Zum Teil erhält Lula eine mehr als 25 Prozentpunkte höhere Zustimmungsrate als Bolsonaro.

Bananenrepublik

Bolsonaro kämpft also um das politische Überleben, und dabei schließt er offenbar kein Mittel aus: Zuletzt erklärte er, das Ergebnis der Wahl möglicherweise nicht anerkennen zu wollen. Er fordert den ausschließlichen Einsatz von Stimmzetteln und die Abschaffung der Wahlmaschinen, denen er nicht vertraut. Den TSE-Chef und Präsidenten des Höchstgerichts, Luís Barroso, bezeichnete Bolsonaro als Idioten. Am Montag kündigte er an, Fotos als Beweise für einen Wahlbetrug vorlegen zu wollen. Dieser soll sich im Jahr 2014 ereignet haben, damals gewann Präsidentin Dilma Rousseff die Wiederwahl.

Bolsonaro misstraut den Wahlmaschinen.
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Verteidigungsminister Walter Braga Netto soll Medienberichten zufolge gar gegenüber Unterhauspräsident Arthur Lira erklärt haben, die Wahlen würden nicht stattfinden, falls Wahlmaschinen eingesetzt würden. Dies wurde von beiden umgehend dementiert. Vizepräsident Hamilton Mourão, wie Netto ein Armeegeneral, erklärte, die Wahl werde stattfinden, denn Brasilien sei keine Bananenrepublik.

Korruptionsermittlungen

Anfang Juli startete die Staatsanwaltschaft Ermittlungen gegen Bolsonaro. Er soll von millionenschwerer Korruption bei der Beschaffung von Impfstoffen gegen Covid-19 gewusst und nichts dagegen unternommen haben. Bolsonaro hatte die Infektion als "kleine Grippe" bezeichnet, die Wirksamkeit von Impfstoffen bezweifelte er. Mittlerweile werden in Brasilien mehr als 550.000 Todesfälle mit dem Virus in Zusammenhang gebracht.

Präsidentensohn Flavio springt für seinen Vater in die Bresche: er ließ sich kürzlich medienwirksam von Gesundheitsminister Marcelo Queiroga mit dem in Brasilien hergestellten Astra-Zeneca-Impfstoff Fiocruz impfen. "Danke an den ‚Leugner‘ Jair Bolsonaro, dass er die Impfung für die Arme aller Brasilianer garantiert", schrieb der Junior auf Twitter.

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Bolsonaros Gegner mobilisieren nicht nur auf den Straßen, sondern auch in der Küche. Die Biologielehrerin Raissa Accarini backt und verkauft "Bolsonaro raus"-Kekse.
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Regierungsumbau

Um sich politisch abzusichern, schmiedet Bolsonaro Allianzen und baut seine Regierung um. Am Mittwoch ernannte er Senator Ciro Nogueira zu seinem neuen Stabschef und damit zum engsten Verbündeten. Nogueira ist Chef der Progressistas (PP), einer Mitte-rechts-Partei im Kongress. Zum PP gehört auch Lira. Dieser unterband in seiner Position als Chef der Abgeordnetenkammer bisher alle Vorstöße für ein Amtsenthebungsverfahren gegen Bolsonaro. Die Kooperation deutet darauf hin, dass der Präsident 2022 für die Progressistas antreten könnte. 2018 kandidierte er noch für den Partido Social Liberal (PSL), verließ die Partei später jedoch.

Ebenfalls am Mittwoch ernannte der Präsident einen neuen Arbeitsminister. Dies ist insofern bemerkenswert, als Bolsonaro das Arbeitsministerium an seinem ersten Tag im Amt aufgelöst hatte. Nun soll der neue Minister Onyx Lorenzoni Maßnahmen gegen die grassierende Arbeitslosigkeit von fast 15 Prozent setzen.

Auch im Supremo Tribunal Federal stellt Bolsonaro unterdessen die Weichen: Am Dienstag nominierte er den Evangelikalen André Mendonça für einen freiwerdenden Sitz im Höchstrichtergremium. Im Vorjahr setzte der Präsident noch überraschend den moderaten Katholiken Kássio Nunes ins Höchstgericht. (Michael Vosatka, 29.7.2021)