16 Singles haben sich zum Slow Dating getroffen. Ort der Zusammenkunft ist ein lauschiger Innenhof in Wien.

Foto: Christian Fischer

An diesem Freitagabend erfährt man in einem Wiener Innenhof viel über die Liebe. Man erfährt von enttäuschten Schwärmereien, kurzen Affären, die nie in einer Beziehung endeten, von dem Schmerz, wenn ein "Gspusi" einfach nicht mehr zurückschreibt. Man erfährt aber auch von der Hoffnung, bald den oder die Richtige zu finden. Jemanden, der da ist und dem man vertrauen kann, der einem Nähe schenkt. Vielleicht ja schon heute, an diesem Abend.

16 Singles in ihren 30ern sind zum "Real talk date" gekommen, einer Veranstaltung von Slow Dating Events Vienna. Sie sitzen einander an Holztischen gegenüber, vor ihnen steht ein Glas Sekt. Männer in Sommerhemden, Frauen in bunten Kleidern, die Beine übereinandergeschlagen. Auf jedem Tisch steht eine Blumenvase, daneben flackert eine Teekerze. Parfümgeruch liegt in der Luft. "Jetzt erzählt ihr einander in einer Minute, was ihr besonders hasst, und anschließend, was ihr liebt." Organisatorin Helena Spindler moderiert durch den Abend. "Stoppt die Zeit und zählt auf, was euch so richtig ärgert. Das kann zum Beispiel so etwas wie Diskriminierung oder Intoleranz sein."

Nach einem Drei-G-Nachweis dürfen an diesem Freitagabend die Masken fallen.
Foto: Christian Fischer

Eine Frau auf Tisch fünf plaudert los. Sie hasse Drehtüren, Steinstrände, Regentage, Melanzani, ja, und natürlich auch jede Form von Diskriminierung. Dafür liebe sie es, ausschlafen zu können, mag französische Filme und das Meer. Ihr Gegenüber nickt bei jeder Aufzählung, als habe er schon die ersten Gemeinsamkeiten entdeckt.

Wie beim Teambuilding

Eine andere Aufgabe lautet, ein Gemälde zu analysieren, eine dritte, so richtig anzugeben. So soll es gelingen, den Smalltalk zu überspringen und gleich auf wichtige Themen zu sprechen zu kommen. Manchmal können sich die Teilnehmenden ein verschämtes Lachen nicht verkneifen. Oder einen prüfenden Blick zum Gegenüber, wenn Spindler erklärt, was als Nächstes zu tun ist. Die Übungen hat die studierte Sozialwissenschafterin der Gruppendynamik, der Psychotherapie und der Beziehungsforschung entlehnt. Nach jeder Runde wechseln die Männer an den nächsten Tisch, die Frauen bleiben sitzen.

Beim "Real talk date" geht es darum, möglichst schnell auf die wichtigen Themen des Lebens zu sprechen zu kommen.
Foto: Christian Fischer

Das ist wie beim Speed Dating, könnte man meinen – und doch soll Slow Dating genau das eben nicht sein. "Es geht darum, eine Person erst mal kennenzulernen, und zwar ohne gleich eine Checkliste abzuarbeiten", sagt Spindler. Die 34-Jährige hat Slow Dating Events Vienna vor drei Jahren mit ihrem Bruder gegründet. Das Konzept kommt aus den USA und ist ein Gegentrend zum schnelllebigen Onlinedating à la Tinder und Co. Sie selbst sei "auf ziemlich allen verfügbaren Datingplattformen" aktiv gewesen, berichtet Spindler, und habe dabei ganz schnell festgestellt: "Der Mensch ist nicht dafür gemacht, so viel Auswahl zu haben." Sie wollte Veranstaltungen planen, bei denen Qualität vor Quantität steht. Bis sich das durchsetzt, braucht es aber noch Zeit. "Leider herrscht in Österreich immer noch das Vorurteil, dass Dating-Events peinlich sind."

Sie wollen dafür sorgen, dass es zwischen möglichst vielen Singles funkt: Helena Spindler (Mitte) und ihr Team.
Foto: Christian Fischer

Zeit für echte Begegnungen

Dass Tinder heimlicher und unverfänglicher ist, mag stimmen. Aber dort haben die meisten, die heute hier sind, nicht gefunden, was sie suchen. Wie etwa Miriam, eine Frau in einem gemusterten Kleid und Sandalen. Sie schätze am Slow Dating "die echte Begegnung". Gerade jetzt, nach Monaten der Kontaktbeschränkungen, kann man das gut nachempfinden. Sie selbst habe zwar noch nie via App nach einem Partner gesucht, erzählt Miriam, aber bei Freunden miterlebt, wie oberflächlich es dabei zugeht. "Da sitzen dann alle auf dem Sofa, wischen gemeinsam durch das Angebot und lästern."

"Tinder ist wie eine Auslage", sagt auch Daniel, ein großer Mann mit kurzen Haaren und freundlichem Blick. Die Hände auf dem Schoß verschränkt, erzählt er, dass er schon bei mehreren Dating-Events war. Die große Liebe war bis jetzt zwar noch nicht dabei, aber das Spielerische und der Austausch gefielen ihm sehr. "Aber ob man mit solchen Spielereien wirklich die große Liebe findet?" Horia, von Beruf Wissenschafter, ist skeptischer. Der junge Mann in Shorts will dem Ganzen dennoch eine Chance geben, denn online hat er es mit Ghosting zu tun bekommen. Er wünsche sich eine langfristige Beziehung und Kinder. Das verrät er sehr schnell.

Wen will ich wiedersehen? Am Ende stehen die Singles vor der Qual der Wahl.
Foto: Christian Fischer

Nach drei Stunden und mehreren Runden hat jeder jeden kennengelernt. Und es wird entschieden: Passt es oder nicht? Auf einem vorgedruckten Zettel sollen die Singles ihre "Matches" notieren, also wen sie wiedersehen möchten. Die Veranstalter geben dann die Telefonnummern weiter. Wie viele ihrer Kunden schon den Partner oder die Partnerin fürs Leben kennengelernt haben? Das kann Spindler nicht sagen, denn die Verkuppelten kämen ja nicht wieder. Zudem würden ihre Events auch andere Arten von Beziehungen hervorbringen. So hätten einige auch schon einen Tennis- oder Tanzpartner gefunden. Oder gute Freundschaften geschlossen. (Reportage: Lisa Breit, 28.7.2021)