Die Pandemie hat dazu geführt, dass man in Österreich offener für das Teilen von Gesundheitsdaten mit Forschungseinrichtungen ist.

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"Chancenreich Österreich – digital, nachhaltig wirtschaften" – das ist der Slogan einer im Mai von Sebastian Kurz (ÖVP) und Werner Kogler (Grüne) vorgestellten Strategie, mit der Österreich bis 2040 zu einem der weltweit führenden Wirtschaftsstandorte gemacht werden soll. Die Standortstrategie gliedert sich in sieben Schwerpunktfelder, eines davon lautet "Biotech, Life-Science und Gesundheit" – und sorgt bei einem Blick auf die Details für Unwohlsein bei Datenschützern.

Denn in einem begleitenden Schreiben des Wirtschaftsministeriums zu diesem Themenbereich, das dem STANDARD vorliegt, heißt es, dass zwar die Voraussetzungen zur Errichtung und Pilotierung einer bundesweiten Gesundheitsdateninfrastruktur gelegt wurden, Österreich im Bereich "Digital Health" im internationalen Vergleich aber nur im Mittelfeld liege: "Zielgerichtete Policy-Aktivitäten, starke institutionelle Verankerung und eine in Teilen führende technische Implementierung (zum Beispiel hoher Grad an Interoperabilität) stehen einem ernüchternd geringen Grad tatsächlicher Datennutzung gegenüber", heißt es. Eine verstärkte Datennutzung habe hingegen "das Potenzial, die zweite zentrale Säule eines effizienten, datengestützten Gesundheitssystems und führender Gesundheitsforschung zu bilden".

Basis für den Austausch von Gesundheitsdaten

Dementsprechend wird für das Jahr 2040 ein Zielzustand angestrebt, in dem "durch eine umfangreiche Nutzung von Gesundheitsdaten, unter anderem für akademische Forschung und zur Optimierung der Versorgungssituation", ein effizientes und "zugängliches" Gesundheitssystem ermöglicht wird. Österreich soll "Europas Hub der Pharma- und Medizintechnikforschung und -kommerzialisierung" werden.

Daraus ergeben sich aus Sicht der Initiatoren diverse Fragen, die man in dem vorliegenden Dokument offen stellt – darunter, welche Rahmenbedingungen es für den Austausch und Umgang mit Gesundheitsdaten zwischen Versorgungsdienstleistern und forschenden Unternehmen (zum Beispiel Start-ups, Konzerne) und Institutionen (zum Beispiel Universitäten) braucht.

Zwar findet sich auch die Frage, wie "bei umfangreicher Nutzung der Gesundheitsdaten (zum Beispiel Elga) höchstmögliche technische Standards an Datenschutz und -sicherheit erreicht" werden können. An anderer Stelle wird aber auch gefragt, inwiefern "bestehende Regulatorik und Rechtslagen erweitert und angepasst werden (müssen), um eine umfangreiche Nutzung der Gesundheitsdaten (zum Beispiel Elga) zu ermöglichen, während weiterhin höchste Standards an Datenschutz und -sicherheit erreicht werden".

Unter dem Unterpunkt "Partnerschaften" wird die Frage gestellt, mit welchen internationalen Partnerinnen und Partnern Österreich zusammenarbeiten solle, zum Beispiel "durch gegenseitiges Verfügbarmachen spezialisierter Gesundheitsdaten-Sets" oder durch fachspezifische Expertise.

Pläne sollen in Alpbach präsentiert werden

Derzeit finden Gespräche in Arbeitsgruppen mit Vertreterinnen und Vertretern von Unternehmen sowie Wissenschaft und weiteren Stakeholdern des jeweiligen Bereichs zu diesen Fragestellungen statt. Zu den Letztgenannten gehören auch Start-ups, Interessenvertreter, Wissenschaft, Gesundheitsverwaltung und NGOs. Basierend auf diesen Gesprächen werden Maßnahmen für den Wirtschaftsstandort entwickelt, insgesamt sollen sich rund 600 Personen in den Prozess einbringen. Erste Zwischenergebnisse sollen beim diesjährigen Forum Alpbach (18. August bis 3. September) präsentiert und diskutiert werden, anschließend können sich Interessierte im Rahmen einer Bundesländertour einbringen.

Angesprochen auf das im Dokument thematisierte mögliche Teilen von Gesundheitsdaten mit Wissenschaftern und Unternehmen, gibt man sich im Wirtschaftsministerium zurückhaltend und verweist darauf, dass die Arbeitsgruppen noch tagen. "Dieser Prozess ist gerade im Laufen, daher können wir der Arbeitsgruppe nicht inhaltlich vorgreifen in Bezug auf die Ergebnisse der Diskussion", heißt es. "Die Diskussion soll ergebnisoffen geführt werden und möglichst die Expertise vieler Stakeholder einbinden."

91 Prozent wollen Daten an Forschung geben

Als einer dieser Stakeholder ist die Elga GmbH selbst mit an Bord. Hier beobachtet Elga-Geschäftsführer Franz Leisch, dass die die Nutzung von Elga-Daten für die Forschung – also die "Sekundärnutzung der Daten" – ein vieldiskutiertes Thema sei, zumal die strukturierten Daten bisher nicht für diese Zwecke genutzt werden.

Die Pandemie habe aber viel Bewegung in das Thema gebracht, sagt Leisch. Er verweist in diesem Kontext auf eine Gallup-Umfrage von 2020, laut der 91 Prozent von 1.000 Befragten der Ansicht sind, dass "medizinischen Universitäten in Österreich für Forschungszwecke zur Bekämpfung des Coronavirus vorhandene Gesundheitsdaten von Menschen in Österreich in anonymisierter Form und unter strikter Einhaltung des Datenschutzes und der gesetzlichen Grundlagen" zur Verfügung gestellt werden sollten.

Auch die Verknüpfung der Daten wird von 91 Prozent der Befragten befürwortet. Die Nutzung von E-Medikations-Daten (Informationen über verschriebene und abgegebene Medikamente in Elga) durch medizinische Universitäten befürworten 84 Prozent der Befragten, bei den E-Befund-Daten (Spitalsentlassungsbriefe, Labor- und Radiologiebefunde in Elga) sind es 78 Prozent. Anzumerken ist hier: Die Umfrage bezieht sich auf die Nutzung von Elga-Daten durch Universitäten. Von einem Teilen der Gesundheitsdaten mit Unternehmen der freien Wirtschaft ist hier nicht die Rede.

Auch Leisch verweist in Bezug auf die mögliche "Anpassung und Erweiterung der Regulatorik und Rechtslagen" auf den noch sehr frühen Zeitpunkt des Projekts. Jedenfalls führt er aber auch an, dass die – anonyme – Sekundärnutzung von Gesundheitsdaten auch auf europäischer Ebene thematisiert werde. Die Europäische Kommission hat entsprechende Rechtsakte für den Herbst 2021 angekündigt, die Rede ist von der "Schaffung eines europäischen Datenraums".

"Erschreckende Ignoranz"

Die Datenschützer sind naturgemäß über die aktuellen Entwicklungen alles andere als erfreut. "Das Projekt 'Chancenreich Österreich' des Digitalisierungsministeriums zeigt eine erschreckende Ignoranz gegenüber dem Datenschutz bei unseren sensibelsten Gesundheitsdaten", sagt Thomas Lohninger, Geschäftsführer der Datenschutz-NGO Epicenter Works: Das Ministerium wolle der Wirtschaft Zugang zu den Elga-Gesundheitsdaten verschaffen und nun "mit einem vermeintlichen Beteiligungsverfahren eine Rechtfertigung für dieses Ziel finden".

"Ein offenes Beteiligungsverfahren ist bei den Fragen des Ministeriums nicht möglich, denn es geht nicht darum, ob die Patientendaten in Österreich für die Wirtschaft geöffnet werden sollen, sondern einzig darum, wie dies zu bewerkstelligen wäre", sagt Lohninger. "Das ist eine Beteiligungssimulation, um sich abputzen zu können, aber kein ehrlicher Diskussionsprozess in einer Demokratie."

Bei der Einführung von Elga habe es ein "klares Bekenntnis der Politik" gegeben, die Daten sicher zu verwahren und nicht an Dritte herauszugeben. "Anscheinend hat Ministerin Schramböck (Margarete, ÖVP, Anm.) vor, dieses Versprechen zu brechen, und Gesundheitsminister Mückstein (Wolfgang, Grüne, Anm.) sieht dabei zu, ohne etwas zu tun", sagt Lohninger. "Es ist dringend notwendig, die Notbremse zu ziehen, bevor das Vertrauen der Bevölkerung irreparabel zerstört wird." Den Menschen bliebe dann nur die Möglichkeit, sich von Elga abzumelden. (Stefan Mey, 29.7.2021)