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Selbst im modernen, weltoffenen, aufgeklärten New York finden sie sich, die Corona-Leugner und Impfgegner. Eine harte Nuss für die Regierung.

Foto: Reuters / David ‚Dee‘ Delgado

Für "Anti-Vaxxer" – wie Impfgegner in den USA heißen – ist Joseph Mercola ein alter Bekannter. Schon vor Jahren behauptete der Arzt, Routineimpfungen könnten bei Kindern Autismus auslösen. Verunsicherte Eltern glaubten ihm. In der Folge kamen vermeidbare, längst zurückgedrängte Erkrankungen wie Mumps, Röteln und Masern zurück. Mercola erhebt auch den Anspruch, seine Nahrungsmittelzusätze könnten Krebs, Herzerkrankungen, Darmschwächen und Alzheimer verhindern oder sogar heilen. Die Medikamentenbehörde FDA forderte ihn wiederholt auf, Schluss mit haltlosen Behauptungen zu machen.

Dann kam die Pandemie. Sie verschaffte dem heute 67-Jährigen eine hochprofitable Ausweitung seiner Geschäfte. Er lehnt das Tragen von Masken wegen "Sauerstoffentzugs" ab; und er warnt vor "Zwangsimpfungen", die es in den USA gar nicht gibt.

Millionen Follower

Statt einer Covid-Impfung empfiehlt er seine eigenen Produkte. Angeblich stärken sie die Immunkräfte, wissenschaftliche Belege dafür gibt es nicht. Zu der Pandemie hat er mehrere Hundert Texte und Videos veröffentlicht, Millionen Menschen folgen ihm in diversen sozialen Medienkanälen.

Mercola ist der Bekannteste und Einflussreichste jenes "Disinformation Dozen", jenes Dutzends prominenter Amerikaner, die täglich neu und erfolgreich Unwahrheiten über die Pandemie verbreiten. Gemeinsam erreichen sie Millionen Menschen in aller Welt.

Das Center for Countering Digital Hate (CCDH) hat im vergangenen Frühjahr mehr als 812.000 impfstoffbezogene Facebook- und Twitter-Einträge untersucht und festgestellt, dass 65 Prozent von ihnen auf diese Gruppe zurückgehen. CCDH kritisiert Facebook, Twitter und Instagram dafür, dass sie dem Disinformation Dozen eine Plattform geben, statt sie wegen Fehlinformationen zu sperren.

Neffe von Kennedy dabei

Nicht alle Vertreter der Gruppe kommen aus medizinischen Berufen, da ist etwa der vertraut klingende Name Robert F. Kennedy, ein Neffe des 1963 ermordeten US-Präsidenten John F. Kennedy. Sein Vater, der 1968 ebenfalls ermordete Ex-Justizminister, trug den gleichen Namen wie er. Robert F. Kennedy Junior ist Anwalt und war ursprünglich auf Umweltthemen und Indigenenrechte spezialisiert. Auch er entwickelte nicht erst mit der Pandemie eine Gegnerschaft zu Impfungen. Kennedy stellt die Covid-Impfung in eine Reihe mit historischen Verbrechen – etwa mit den medizinischen Experimenten mit Sklavinnen und schwarzen Soldaten. 2020 finanzierte Kennedy einen Film, mit dem Anti-Vaxxer Zugang zu Afroamerikanern suchen, sie reden von "medizinischem Rassismus" und "neuer Apartheid".

Andere aus dem Disinformation Dozen konzentrieren sich auf Pharma-Lobbying, auf die angeblich durch Covid-Impfungen verursachte Unfruchtbarkeit von Frauen – und darauf, sich als Opfer von Zensur zu inszenieren. Die Gesundheitsbloggerin Erin Elizabeth etwa, die erst vor wenigen Tagen von Facebook gesperrt wurde, macht düstere Ankündigungen. "Wenn einem von uns etwas passiert", sagt sie, "sucht beim CCDH." Sie spricht von einer "Hassgruppe".

Biden verfehlte sein Impf-Ziel

Als die CCDH-Studie erschien, waren die USA in einer Art Aufbruchstimmung, das Impftempo war hoch, es sah aus, als hätte das Land das Gröbste hinter sich. Die Altersgrenze für Impfungen wurde herabgesetzt, die Maskenregelung gelockert. Doch zugleich ließ die Nachfrage nach Impfungen nach. US-Präsident Joe Biden, der bis zum Nationalfeiertag am 4. Juli eine "Herdenimmunität" mit mehr als 70 Prozent voll Immunisierter erreicht haben wollte, verfehlte sein Ziel.

Und jetzt? Jetzt bahnt sich eine Rückkehr der Pandemie an. Die Zahl der Neuinfektionen hat sich rasch verdreifacht, die Intensivstationen füllen sich. Doch dieses Mal liegen die Dinge anders, nicht nur wegen der Delta-Mutation: Das Infektionsgeschehen konzentriert sich auf jene Landesteile und Bevölkerungsgruppen mit niedriger Impfquote.

Biden reißt der Geduldsfaden

"Es ist eine Pandemie der Nichtgeimpften geworden", sagt Rochelle Walensky, Chefin der Gesundheitsbehörde CDC. Nachdem sie noch kurz zuvor Lockerungen angeregt hatte, plädiert sie wieder für das Maskentragen in geschlossenen Räumen. Das CDC legt verschiedene Szenarien vor: Im günstigsten Fall haben die USA Mitte Oktober täglich 60.000 neue Ansteckungen und dann 850 Tote. Im ungünstigsten Fall stecken sich jeden Tag 240.000 Menschen an, und 4.000 sterben.

Biden jedenfalls hat genug: Nachdem er seine Landsleute monatelang um Verständnis gebeten hat, lässt er nun eine Impfpflicht für die rund zwei Millionen Mitarbeiter in den US-Regierungsbehörden prüfen. Und es ist ihm seine Ungeduld gegenüber dem Disinformation Dozen anzumerken: "Wer ihnen glaubt, erleidet Schaden. Es tötet Menschen."

Auch die Internetkonzerne Facebook und Google verhängen eine Impfpflicht über ihre Mitarbeiter. Bevor diese in die Büros zurückkehren dürfen, müssen sie sich impfen lassen, teilten die Unternehmen unabhängig voneinander am Mittwoch mit. Zunächst gilt die Regelung nur in den USA, solle aber ausgeweitet werden. (Dorothea Hahn aus New York, 29.7.2021)