Schwester Chrysothemis (Vida Miknevičiūtė) versucht, Elektras Pillenselbstmord zu verhindern.

APA/Barbara Gindl

Salzburg – Es war diese Elektra im sommerlichen Vorjahr die erste (wohl nicht nur Salzburger) Inszenierung der Corona-Epoche. Eine Maskenpflicht gab es nicht, den 900 Zugelassenen wurde der Mund-Nasen-Schutz aber empfohlen. Ein Jahr später ist nicht alles vorbei, aber manches ein bisschen anders: Die Felsenreitschule darf zwar voll ausgelastet werden, es gibt jedoch freie Plätze. Andererseits herrscht Maskenpflicht. Selbst durch den Mundvorhang hindurch dringt allerdings nach wie vor die Wirkung dieser intensiven Inszenierung durch.

Vom ersten Augenblick an entfaltet die Arbeit von Krzysztof Warlikowski ihre elementare und zugleich subtile Wucht: Wie bei einem Bekenntniskonzert steht Elektras verhasste Mama als Popsängerin vor dem Mikro und erklärt in einer Wutrede, warum das Meucheln ihres Gatten Agamemnon (der die Opferung von Tochter Iphigenie hinnahm) regelrecht lustvoll war. Während Klytämnestra ihre Sätze herausschreit, die auf Aischylos’ Agamemnon basieren, entfaltet die Regie ihren Charme des Mehrdimensionalen – und noch ist kein Opernton erklungen.

Also: In einem Quader sieht man während der zornigen Rede Klytämnestras den toten Agamemnon, den rauchenden Mitmörder Ägisth und ein kleines Mädchen namens Elektra. Auf der Hinterwand der Felsenreitschule wird diese Erinnerungsszene filmisch in Schwarz-Weiß gedoppelt. Rechts aber sitzt Elektra als ketterauschendes Nervenbündel und erleidet den mütterlichen Monolog, also würde ihr jedes Wort einen heftigen Stromschlag versetzen.

Psychologische Tiefe

Sie ist die Zentralgestalt: Die Regie hat Elektra mit einer psychologischen Sorgfalt behandelt, die kammerspielartig auf Details eingeht, aber von Ausrine Stundyte zugleich eine offensive Körperlichkeit fordert, die in Grenzbereiche der Belastung führen muss. Stundyte schmettert die dramatischen Spitzentöne mit jener Wucht, die zeigt, dass diese Figur nur noch vom Rachehass zusammengehalten wird. Dass sie an anderer Stelle ein bisschen viel Vibrato in den Ausdruck legt – geschenkt. Es ist diese Verschmelzung von Gesang und Darstellung, die frappiert.

Da ist giftige Lust in der Stimme, wenn Elektra Mutter Klytämnestra (packen im Monolog und als psychosomatisch Geplagte: Tanja Ariane Baumgartner) Heilung von Schlaflosigkeit durch Tod weissagt. Wenn es darum geht, jemanden zu instrumentalisieren, kann diese Elektra aber auch zierlich hauchen und sich kokett geben. Das trifft den todgeweihten Ägisth (Michael Laurenz), aber auch die lebensfrohe Schwester Chrysothemis. Da wird Elektra zum zärtlichen Schwesterlein, um die als Clubbinggirl eingekleidete zum Muttermord zu überreden.

Ermorden wird Klytämnestra der heimgekehrte Orest (kultiviert Christopher Maltman), um die Leiche hernach einer rituellen Waschung zu unterziehen. Orest wird aber nicht bemerken, dass Elektra, vor Racheglück erfasst, versucht, sich pillenmäßig umzubringen. Das verhindert Schwester Chrysothemis, die von Vida Miknevičiūtė differenziert dargestellt wird (toll, wie sie dramatischen Furor mit kultiviertem Klang verbindet). Ein vollwertiger Ersatz für Asmik Grigorian, welche die drei letzten Spieltermine wahrnehmen wird.

Orest hat Angst

Nur, der Rettungsversuch nützt am Ende nichts. Verzückt rekelt sich Elektra schließlich ihrem Ende entgegen, während die Inszenierung einen ihrer schillerndsten Momente erlebt: Auf den Arkaden wird ein Blutfleck von einem immer größer werdenden Fliegenschwarm weggefressen (Video Kamil Polak), während Orest schon von Angst- und Schulddämonen bedrängt wird. Ein wahres Gesamtkunstwerk ist hier gelungen, zu dem auch der Beitrag der Wiener Philharmoniker zählt.

Unter Franz Welser-Möst stellen sie ihren noblen Sound in den Dienst einer kontrapunktisch brodelnden Nervenmusik, die sich zu sanfter Poesie rundet. Welser-Möst bringt das Aufwühlende mit Klarheit und klanglicher Kultiviertheit zusammen. (Ljubisa Tosic, 28.7.2021)