Der Rektor der JKU Linz, Meinhard Lukas, plädiert im Gastkommentar für mehr Sachlichkeit in der Causa Kurz.

Hat Bundeskanzler Sebastian Kurz vor dem U-Ausschuss falsch ausgesagt? Vorerst entschieden ist, dass ein Richter den Beschuldigten einvernehmen wird.
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Die Justizministerin Alma Zadić hat rund um die Einvernahme des Bundeskanzlers alles richtig gemacht. Sie hat Paragraf 101 Absatz 2 der Strafprozessordnung (StPO) und damit geltendes Recht angewandt – nicht mehr und nicht weniger. Die Staatsanwaltschaft muss (!) eine gerichtliche Beweisaufnahme beantragen, wenn "... wegen der Bedeutung der aufzuklärenden Straftat und der Person des Tatverdächtigen ein besonderes öffentliches Interesse besteht". Richtet sich der Tatvorwurf gegen den amtierenden Bundeskanzler und zielt er inhaltlich auf eine falsche Beweisaussage vor einem parlamentarischen Untersuchungsausschuss, ist das ein Paradeanwendungsfall dieses Paragrafen.

Bei der aufzuklärenden Straftat geht es um eine mögliche Vereitelung der parlamentarischen Kontrolle durch eine vorsätzliche Falschaussage. Und beim Tatverdächtigen handelt es sich um den Regierungschef. Angesichts eines in zweifacher Hinsicht so ausgeprägten öffentlichen Interesses führt an einer Einvernahme durch einen Richter kein Weg vorbei.

Ohne Makel

Das wirft die Frage auf, warum die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) das anders gesehen hat. Warum muss sie von der Justizministerin in einem derart clamorosen Fall zur Anwendung einer gesetzlichen Bestimmung per Weisung gezwungen werden? Noch dazu einer Bestimmung, die ausweislich der Gesetzesmaterialien jeden Anschein der Befangenheit von der Staatsanwaltschaft gerade in öffentlich delikaten Fällen abwenden soll. Das zeigt der Bericht des Justizausschusses des Nationalrats zu Paragraf 101 Absatz 2 StPO mit aller Deutlichkeit: "Tatsächlich scheinen bei Vorliegen der kumulativen Voraussetzungen (Bedeutung der Tat und Person des Tatverdächtigen) unmittelbare richterliche Beweisaufnahmen bessere Gewähr dafür zu bieten, dass die Entscheidung der Staatsanwaltschaft über den Fortgang des Verfahrens nicht von vornherein mit dem Makel der Voreingenommenheit behaftet wird."

Um nicht missverstanden zu werden: Ich habe keinen Zweifel an der Unbefangenheit der zuständigen Organe der WKStA. Was ich aber vermisse, ist – zumindest in diesem Punkt – der souveräne Umgang mit einem Fall von solcher Brisanz. Gerade auch hier ist die konsequente Klärung des bestehenden Verdachts ebenso wichtig wie die penible Beachtung der Verfahrensordnung und damit auch von Paragraf 101 Absatz 2 StPO.

Besondere Maßstäbe

Eine nur schwer nachvollziehbare Nichtanwendung dieser Bestimmung macht die Staatsanwaltschaft angreifbar. Das ist dann besonders unglücklich, wenn sie selbst Gegenstand von öffentlichen Attacken der Kanzlerpartei ist. So kritikwürdig und rechtsstaatlich bedenklich dieser Umgang mit der Anklagebehörde ist, so wichtig ist es, dass politische Donnerwetter an ihr abperlen. Das zeigt sie am besten durch eine unangreifbare Verfahrensführung.

Aber nicht nur Regierungsparteien und Staatsanwaltschaft sind in die Pflicht zu nehmen. Auch die Opposition sollte der Öffentlichkeit nicht Sand in die Augen streuen: Man mag es Zweiklassenjustiz nennen, wenn für Fälle von besonderem öffentlichen Interesse besondere Maßstäbe bei der Einvernahme angewendet werden. Dafür ist aber nicht die Justizministerin, sondern die von ihr korrekt angewandte gesetzliche Bestimmung des Paragrafen 101 Absatz 2 StPO verantwortlich. Diese Bestimmung wurde im Jahr 2004 auf Initiative des Justizausschusses im Parlament beschlossen. Der Vorwurf der Zweiklassenjustiz kann sich daher nur gegen den Gesetzgeber und nicht die Justizministerin richten.

Mehr Sachlichkeit und Souveränität im Umgang mit einer politisch und juristisch denkbar heiklen Strafsache ist das Gebot der Stunde. Dieser Appell richtet sich gleichermaßen an Politik und Justiz. (Meinhard Lukas, 29.7.2021)