Nicht nur Baustellen sorgen für Stau auf der A23, auch die Evaluierung der Asfinag-Bauprojekte.

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Wien – Das von der Wirtschaftskammer in Verkehr gebrachte Rechtsgutachten "zur Zulässigkeit von Weisungen an den Vorstand der Asfinag" sorgt unter Gesellschaftsrechtlern für Kopfschütteln. "Selbstverständlich darf ein Eigentümer Weisungen geben, auch in einer Aktiengesellschaft", stellt eine renommierte Aktienrechtlerin der Wirtschaftsuni klar. Der Vorstand einer Aktiengesellschaft müsse derartige Wünsche allerdings nicht befolgen, wenn diese gesetzwidrig wären oder nicht im Interesse des Unternehmens, sagt die Expertin, die ihren Namen nicht in der Zeitung lesen will, zum STANDARD.

Ob die von Verkehrsministerin Leonore Gewessler (Grüne) im Juni ausgegebene Losung eine solche Weisung darstellt, darüber rätseln auch die Gutachter der Sozietät KWR Karasek Wietrzyk. Sie gehen allerdings davon aus, dass es eine Weisung ist, und sehen das ministerielle Schreiben deshalb als unzulässigen Eingriff in das operative Geschäft.

Warnung vor Schaden

Ein anderer, auf den staatlichen Bereich fokussierter Rechtsberater widerspricht: Das sei keine Weisung im engeren Sinn, sondern eine Art Warnung. Würde die Asfinag ihr Bauprogramm weitertreiben oder neue Projekte beginnen, ehe die Evaluierung abgeschlossen ist, könnte Schaden entstehen, sagt der Experte, der ebenfalls nicht genannt werden will. "Dieser Schaden wäre dann aber viel größer als der in der gutachterlichen Stellungnahme angeführt", sagt er.

Die "stranded costs" betrügen dann nicht 19 Millionen Euro, die die Asfinag für Planungen, Rechts- und Umweltgutachten sowie Wasserrechts- oder Naturschutzbescheide für die Lobau-Autobahn bisher ausgegeben hat, sondern möglicherweise viel mehr. "Ein echter Schaden wäre es, wenn der Baustopp aus unvertretbaren Gründen erfolgt."

Verlorene Planungskosten hingegen seien nicht mehr als ein typisches Unternehmensrisiko. Vor diesem Hintergrund sei der ministerielle Brief als Mahnung im Rahmen der "Aufklärungs- und Schutzpflichten innerhalb eines Vertragsverhältnisses" zu interpretieren, in dem sich der Staat und seine Gesellschaft Asfinag befinden. Es sei die Politik, die über den Bau einer mehrere Milliarden Euro teuren Schnellstraße entscheide, nicht ein Vorstand einer staatlichen Gesellschaft.

Keine Ausschreibungen, keine Rodungen

Zur Erinnerung, es geht um folgendes Schreiben: Der für Infrastrukturfinanzierung zuständige Sektionschef im Verkehrsministerium verkündete am 25. Juni mit Verweis auf die seit November laufende Evaluierung: "Es wird mitgeteilt, dass derzeit keine Ausschreibungen für etwaige Bauphasen oder behördliche Vorbereitungsmaßnahmen wie Grabungen, Bodenerkundungen, Rodungen, öffentlich-rechtliche Anzeigen etc. vorzunehmen sind." Davon explizit ausgenommen: Maßnahmen der Verkehrssicherheit, Erhaltung des Bestands oder technische Verbesserungen.

Hat die Bauwirtschafts- und Länderinteressen gegen sich: Klimaschutzministerin Leonore Gewessler.
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Als maßgeblich erscheint angesichts der Finanzierung des Autobahnen- und Schnellstraßenausbaus – die Asfinag ist per Gesetz ermächtigt, Pkw- und Lkw-Maut einzuheben, und die Republik haftet für die zwölf Milliarden Euro Verbindlichkeiten, die der Straßenbau auf Pump verursacht – insbesondere die vom Sektionschef vorgenommene Einschränkung: "Diese Vorgehensweise dient ausschließlich zur Erreichung der Einvernehmensherstellung 2021 ff (bzw. 2022 ff) und nimmt keine Entscheidung im Hinblick auf den Evaluierungsprozess vorweg."

Politisches Einvernehmen

Damit ist augenscheinlich das Bundeshaushaltsgesetz (§57) gemeint. Demnach ist über die mittelfristige Finanzierung des Asfinag-Bauprogramms Einvernehmen zwischen Finanz- und Verkehrsministerium herzustellen. Dafür ist die Gesamtheit aller rechtlichen, wirtschaftlichen und finanziellen Vorgänge zu prüfen und zu bewerten. Womit klar ist, dass das letzte Wort in Sachen Lobautunnel noch lang nicht gesprochen ist.

Grund zur Eile, wie von der Wirtschaftskammer insinuiert, noch im Juni eine behördliche Bauanzeige zum Start der Lobau-Schnellstraße im Norden einzubringen, gibt es eigentlich nicht. Der Wasserrechtsbescheid gilt bis 2028 und kann um mindestens fünf Jahre verlängert werden. Die 2022 geplanten ÖBB-Streckensperren auf der Marchegger Bahn beim Knoten Raasdorf seien kein Grund. Denn deren wird es noch mehrere geben, bis die Bahnlinie fertig ausgebaut ist. (Luise Ungerboeck, 29.7.2021)