Der Anteil umweltfreundlicher Energieträger nimmt stetig zu. Das liegt einerseits daran, dass die Preise für die Stromproduktion aus Solar- und Windenergie regelrecht einbrechen. Andererseits gesellen sich immer wieder neue Formen der grünen Energiegewinnung zum globalen Strommix hinzu. Diese Woche etwa ging vor der Küste Schottlands ein Prototyp eines schwimmenden Gezeitenkraftwerks ans Netz. Mit seinen insgesamt zwei Megawatt aus zwei Turbinen wird die O2 des schottischen Unternehmens Orbital Marine Power gerade einmal 2.000 Haushalte pro Jahr mit Strom versorgen können.

Die Branche hegt aber die Hoffnung, dass die Preise für schwimmende Gezeitenkraftwerke durch Multiplikatoreffekte ebenso schon bald deutlich geringer werden. Insgesamt verblasst die Leistung des O2 im Vergleich zu den weltweit größten Gezeitenkraftwerken, dem fix verbauten Sihwa-ho in Südkorea mit 254 MW Leistung oder jenem im französischen Rance mit 240 MW.

Die Turbinen können abgesenkt werden.
Foto: Orbital Marine

Die beiden Turbinen der mit vier Stahlketten im Boden verankerten O2 können im Unterschied zu seinem südkoreanischen Cousin aber um 360 Grad geschwenkt werden und die Strömungsenergie auf den Rotorblättern sowohl bei Ebbe als auch bei Flut bestmöglich nutzen. Theoretisch könnten die schwimmenden Gezeitenkraftwerke überall eingesetzt werden. Insgesamt decken die beiden Schrauben eine Fläche von rund 600 Quadratmeter ab.

Die 74 Meter lange Schwimmvorrichtung erreicht mit den Turbinen ein Gesamtgewicht von 680 Tonnen. Stationiert ist die O2 in einem Archipel nördlich des schottischen Festlands in der Nähe von Orkney, dem Firmensitz des 2002 gegründeten Unternehmens. Ist der Prototyp erfolgreich, soll auch das Kraftwerk hochskaliert werden. Für mindestens 15 Jahre soll das Gezeitenkraftwerk vorerst einmal Energie über ein Stromkabel am Seeboden liefern. Außerdem soll eine Anlage zur Produktion von "grünem Wasserstoff" an Land damit mit Energie versorgt werden.

Vor dem Untertauchen und ohne Schwimmkörper.
Foto: Orbital Marine

Über die genauen Kosten des Kraftwerks erfuhr man bislang nichts. Eine Unternehmenssprecherin verwies auf STANDARD-Nachfrage auf die Presseaussendung, in der die Kosten nicht zu finden sind, allerdings Förderungen des schottischen Staates in Höhe von vier Millionen Euro. Ein Schnäppchen dürfte es wohl keines gewesen sein, vor allem auch weil die Technologie immer noch recht spärlich eingesetzt wird.

In Betrieb.
Foto: Orbital Marine

Gerade einmal 260 Kilowatt an Leistung aus Gezeitenkraft wurden im vergangenen Jahr zum europäischen Strommix hinzugefügt. Dennoch seien viele Küstengebiete prädestiniert für diese Art der Energiegewinnung. Auch an der Themse wurde kürzlich ein Pilotprojekt genehmigt. Die Energie aus dem sich bewegenden Meereswasser sei aber jedenfalls ein wichtiger Faktor auf dem Weg zur britischen Netto-Emissionsnull, hieß es dazu unisono von Regierungsvertretern und dem CEO des Unternehmens.

Nicht ganz uneigennützigen Angaben von Ocean Energy Europe zufolge könnten bis Mitte des Jahrhunderts gar zehn Prozent des europäischen Energiebedarfs durch Gezeitenenergie gedeckt werden. Dafür bräuchte es aber noch sehr, sehr viele weitere Turbinen. (faso, 29.7.2021)