Die Polizei im Einsatz bei einer Demo. Gerade nach Protesten mit oft heiklen Situationen kommt es immer wieder zu Beschwerden über etwaiges polizeiliches Fehlverhalten.

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Jänner 2019: Ein Polizist soll während einer Amtshandlung anlasslos sein Knie in die Genitalien eines Tschetschenen gestoßen haben. Ein Kollege soll einem Zweiten ebenfalls grundlos einen Schlag ins Gesicht versetzt haben. Mai 2019: Ein Demonstrant wird von einem Polizisten so unter einem Polizeibus fixiert, dass dieser fast über seinen Kopf fährt. Jänner 2021: Eine bewaffnete, psychisch kranke Frau wird bei einem Einsatz erschossen.

Es sind kursorisch aufgelistete Fälle, die in den letzten Monaten medial diskutiert wurden. Sie sind sehr unterschiedlich: Manche Vorwürfe wurden bereits vor Gericht verhandelt, andere werden noch untersucht. Was sie aber gemeinsam haben: Fälle wie diese könnten unter Umständen künftig vor einer neuen Stelle landen, die mutmaßliches Fehlverhalten und Misshandlungsvorwürfe gegenüber der Polizei untersucht.

Eine solche Stelle wird seit Jahren von Menschenrechtsexperten gefordert, mit Nachdruck auch von den Grünen, immer wieder auch von der SPÖ. In Kritik steht, dass es nur bei einer sehr geringen Anzahl von einschlägigen Vorwürfen auch zu einer Anklage oder gar Verurteilung kommt. Das kann freilich viele Ursachen haben.

Ermittelt gegen sich selbst

Von manchen wird diese Tatsache auch zugunsten der Exekutive interpretiert. Bei der Präsentation einer entsprechenden Studie zum Thema – von 2012 bis 2015 kam es bei 1500 Anschuldigungen zu sieben Anklagen – sagte etwa der damalige Generalsekretär im Justizministerium, Christian Pilnacek: "Ein gutes Ermittlungsergebnis kann auch die Einstellung eines Verfahrens sein." In der Praxis ermittelt die Polizei in der Regel gegen sich selbst, auch wenn die Staatsanwaltschaft theoretisch das Verfahren an sich ziehen könnte.

Nun dürfte eine solche Stelle jedenfalls tatsächlich geschaffen werden, sie ist im Regierungsprogramm vorgesehen. Doch obwohl die Präsentation bereits für Herbst 2020 angekündigt war, liegt bis dato noch kein Konzept vor. Wann es so weit sein wird, ist unklar, dem Vernehmen nach steht erneut Herbst im Raum.

Wie könnte eine derartige Stelle beschaffen sein? Grundsätzlich wurden über die Jahre hinweg unterschiedlichste Varianten diskutiert. Eine Arbeitsgruppe des BMI-Menschenrechtsbeirats legte etwa bereits 2010 einen Bericht dazu vor. Als Aufgaben wurden damals folgende Funktionen definiert: Sie sollte Anlaufstelle für Opfer sein, unabhängig ermitteln können sowie als Schnittstelle zwischen Disziplinarbehörden und Staatsanwaltschaften dienen.

Zumindest ein Richtungsentscheid dürfte schon gefallen sein: Das Konzept – die Stelle firmiert unter dem Projekttitel "Unabhängige Untersuchungsstelle" – sollte im Rahmen einer Evaluierung des Bundesamts für Korruptionsbekämpfung (BAK) erarbeitet werden. Es liegt also nahe, dass die neu zu schaffende Stelle künftig wohl dort angesiedelt werden soll.

Vorschläge

Offen ist aber, wie sie strukturiert sein wird – etwa wer wie an den Ermittlungen beteiligt ist. Vorgesehen ist, dass auch von Amts wegen ermittelt wird. Denkbar wäre sowohl, dass sie sich nur auf Strafrechtliches beschränkt, als auch, dass sie niederschwelligeren Vorwürfen nachgeht, die zum Beispiel nur disziplinarrechtlich relevant sein könnten. Eine Initiative, der unter anderem Verfassungsrechtler Bernd-Christian Funk und Irmgard Griss angehören, hat bereits ein mögliches Konzept für die Ansiedlung beim BAK vorgelegt: Die Stelle wäre als Kriminalpolizei für Delikte von Polizeibeamten zuständig. Eine eigene Abteilung würde die Ermittlungen kontrollieren, eine andere die Beschwerden aufnehmen.

Wichtig sei jedenfalls, dass die Stelle den Prinzipien "Gründlichkeit, Schnelligkeit, Opfereinbindung" genügt, sagt Experte Philipp Sonderegger, der an der Erarbeitung beteiligt war. Es handle sich um einen "pragmatischen" Vorschlag, der sich am aktuellen Stand der Diskussion orientiere. Voraussetzung wäre eine tatsächliche Unabhängigkeit in Theorie und Praxis, also eine Weisungsfreistellung. (Vanessa Gaigg, 30.7.2021)