Prisca (Vicky Krieps) und ihrer Tochter Maddox ist die Freude am Augenblick vergangen.

Universal Pictures

Wo früher die knackige Bräune als Schönheitsideal galt, predigen heute die Hautpflegegurus, dass die böse Sonne der Alterungsfaktor schlechthin ist. Erstaunlicherweise hat das viel mit dem neuen Film von M. Night Shyamalan zu tun. Doch mehr sei hier nicht verraten, denn seitdem der gebürtige Inder mit The Sixth Sense Ende der 1990er-Jahre seinen Durchbruch hatte, wird in jedem seiner Filme der finale Aha-Moment heiß erwartet und diskutiert.

Seine Auflösungen sind so populär, dass an ihnen gern der ganze Film gemessen wird. Schade, denn Shyamalan widmet sich nicht nur beständig urmenschlichen Themen wie geistiger und körperlicher Gesundheit, Familienleben, Tod und Verlust, sondern hat auch immer gewagte Inszenierungsideen.

Ahnbares Unheil

Beginnend bei der Besetzung: ungewöhnliche Paarungen wie Bruce Willis und Tony Colette in The Sixth Sense, Mark Wahlberg und Zooey Dechanel in The Happening und jetzt Gael García Bernal und Vicky Krieps mit auffälligen Akzenten in Old. Auch bei Kinder- und Jugenddarstellern hat Shyamalan ein glückliches Händchen, gerade die Kombi ältere Schwester / jüngerer Bruder sieht man bei ihm oft.

Die Schwester Maddox ist elf, Bruder Trent sechs, als sie mit ihren Eltern Guy (Bernal) und Prisca (Krieps) im tropischen Traumurlaubsresort ankommen. Ein klassischer Kameraschwenk über den Tropenwald, ein auffälliges Gespräch über die Bedeutung des Augenblicks, ein überfreundlicher Hotelchef namens Niels lassen bereits Übles erahnen. Ist hier doch alles eine Spur zu perfekt. Da der Mensch nach noch mehr Perfektion strebt, schlägt der Hotelchef der Familie vor, sie für einen Tag an einen einsamen Traumstrand zu bringen, an dem sie ganz für sich sein können.

Robert Hofmann

Doch allein sind sie dort nicht. Eine englische Familie ist auch mit an Bord: er Arzt, sie Model, eine Großmutter und ein kleines Mädchen, das dem Schönheitszwang ihrer Mutter bislang noch nicht erlegen ist. Dazu gesellen sich eine Psychologin mit Epilepsie und ihr Ehemann sowie ein amerikanischer Rapper, der rätselhaft in die Ferne starrt. Ein waschechter Agatha-Christie-Cast!

Auf dem abgeschiedenen Strand ereignen sich bald ungewöhnliche Dinge, die sich niemand recht erklären kann. Die Sonne ist da noch das kleinste Übel. Die Strandgemeinschaft beginnt nämlich rapide zu altern. Innerhalb einer Stunde vergehen circa zwei Jahre, den Kindern sieht man es am schnellsten an.

Ratlos angesichts der Wachstumsschübe und beginnenden Verfallserscheinungen, erscheint auch die Suche nach dem Ausweg hoffnungslos: Die Felsen, von denen aus Regisseur Shyamalan in Cameo-Personalunion die Gruppe höchstpersönlich beobachtet, sind steil, das Meer ist gewaltig, und in der Ferne blinzelt ein scharfkantiges Korallenriff.

Abstruser Körperhorror

Als Drehbuchvorlage diente die Graphic Novel The Sandcastle von Pierre Oscar Lévy und Frederik Peeters. Anleihen an deren Ästhetik finden sich auch im Film wieder. Gewagte Kameraeinstellungen mit tiefem Fokus, Unschärfen, Point-of-View-Aufnahmen, die beispielsweise die altersbedingte Sehschwäche Guys erfahrbar machen – Kameramann Mike Gioulakis, der schon beim großartigen Under the Silver Lake und in Shyamalans Persönlichkeitsspaltungsthrillern Glass und Split für die Kamera verantwortlich zeichnet, tobt sich sichtlich aus.

Das mag manchen zu viel sein, so wie die oft unheilschwangere Musik, ein paar Körperhorror-Abstrusitäten und Plot-Twists, ist aber in dieser visuellen Radikalität in einem Box-Office-Hit selten zu sehen. Ein Shyamalan ist dann doch immer für Überraschungen gut. (Valerie Dirk, 30.7.2021)