"Ich trink noch aus, dann gemma." Max, Anna, Lisa und Thomas, alle aus Graz und 19 Jahre alt, sitzen im Gastgarten einer gut gefüllten Bar in Lignano. Die Musik hämmert, der Abend ist bereits fortgeschritten. Am nächsten Tag steht ein Ausflug an, deshalb will die Gruppe es heute – anders als am Vortag – nicht bis zum Äußersten kommen lassen. Was hat sie hierher verschlagen? "Wenn wir ehrlich sind, wollten wir vor allem billig Urlaub machen", sagen die vier und lachen. "Ein bisschen das Maturareise-Gefühl wieder aufleben lassen." Und dafür ist Lignano ein guter Ort, mal so prinzipiell.

Noch mehr als seine Nachbarn in der Region steht Lignano für Party und jugendliche Ausgelassenheit.
Foto: Nikolaus Ostermann

Lignano, vor allem der Stadtteil Lignano Sabbiadoro, ist ein beliebter Urlaubsort für Österreicher an der oberen Adria. Genauso wie Jesolo, Bibione oder Grado. Aber noch mehr als seine Nachbarn in der Region steht Lignano für Party und jugendliche Ausgelassenheit. Besonders zu Pfingsten finden sich junge Österreicher hier ein, um den einen oder anderen Aperol Spritz zu viel zu trinken. "Lignano hat alles, was Italien ausmacht: gutes Essen, lustige Leute und guten Wein", sagt Anna. Es wär somit unfair, Lignano nur auf den Party-Aspekt zu beschränken. Aber er gehört halt auch dazu. So wie jetzt, im ersten Sommer mit der Impfung, der sich ein wenig post-pandemisch anfühlt.

Traurig und interessant

Der Ort liegt auf einer lang gezogenen Halbinsel an der Lagune von Marano. Die Hauptstraße führt vorbei am berühmten Water Park, einem Lidl und einem aktuell etwas traurig vor sich hin dümpelnden Freizeitpark. Lignanos Architektur, vor allem die direkt an der Strandpromenade, ist gleichzeitig ein wenig traurig und interessant. Viele Hotels wurden schnell und billig in den goldenen Tourismuszeiten der 70er-Jahre errichtet. Sie sind entsprechend abgewohnt, haben aber einen leicht brutalistischen Charme.

Viele Österreicher haben Erinnerungen an Reisen nach Lignano. Gar nicht mal so sehr die Ostösterreicher, obwohl man auch die hier beziehungsweise auf dem Weg trifft. Wie das Pensionisten-Ehepaar mit Wiener Kennzeichen, das an der letzten Raststätte in Österreich noch schnell die aktuelle Ganze Woche kauft. Was nicht nötig gewesen wäre, heimische Printprodukte gibt es auch in Lignano überall. Überhaupt begegnet man Österreich an jeder Ecke. Sei es das Pferdekarussell, das den Donauwalzer spielt, die ausgebleichte Werbung für "Zick Zack, das Partylokal in Lienz" oder das Pickerl "25 Jahre Gewalttäter Sport", das sicher nur zufällig in Grün-Weiß gehalten ist.

Gute Nachrede

Buchstäblich naheliegender als für die Wiener ist die Gegend für Steirer und Kärntner. Von den steirischen Freunden hört man über Orte wie Lignano oder Caorle im Vorfeld Dinge wie "Klar, da sind früher alle aus der Siedlung hingefahren". Breites Steirisch ist der Dialekt, den man in Lignano am häufigsten hört, von den Familien bis zu den jungen Menschen abends in den Bars. Und stehen auf einem Hotelparkplatz mal fünf Autos aus Österreich nebeneinander, dann sagen die Kennzeichen zweimal Graz, einmal Deutschlandsberg, einmal Murau und einmal Wien.

Das Stadtbild von Lignano wird geprägt durch Hotelbauten aus den goldenen Tourismuszeiten der 1970er-Jahre.
Foto: Nikolaus Ostermann

Die Österreicher haben hier keine schlechte Nachrede. Auch nicht bei Rosa, der Kellnerin im "Plaza", einem Café direkt neben dem Springbrunnen im Zentrum des Geschehens. Rosa hat schon einige Saisonen mitgemacht. Und wenn man sie fragt, wie die aktuelle so läuft, dann sagt sie nicht "gut" oder "schlecht", sondern kommt ins Reden. "Pfingsten war gut, ebenso Corpus Domini", Fronleichnam. Danach sei es unter der Woche ein wenig eingeschlafen, die Wochenenden gingen aber weiterhin. Spricht man sie auf die österreichischen Gäste an, dann lächelt Rosa. Wobei sie eigentlich die ganze Zeit lächelt. Österreicher seien "immer freundlich", sagt sie, immer "gentile". Und bleibt auch bei höflicher Nachfrage, ob sie sich sicher ist, jemals einen Österreicher getroffen zu haben, bei ihrer Meinung. "Ohne Österreicher gäbe es Lignano nicht."

Lignano gibt es unbestritten, und der Tourismus hat diese Stadt geformt. Auf der Fußgängerzone, knapp ein Kilometer lang, existieren zehn Eisgeschäfte nebeneinander, die zahlreichen Cafés noch nicht mal eingerechnet. Tagsüber, wenn die Menschen unter den mit fast militärischer Präzision aufgereihten Sonnenschirmen am Strand liegen, ist es hier wie ausgestorben. Am Abend füllt es sich. Dann stehen die Gruppen vor den Restaurants, die Familien ziehen von Spielhalle zu Spielhalle, und junge Menschen streiten am Telefon mit ihren Schatzis zu Hause, weil sie über dem ganzen Spaß vergessen haben, sich oft genug zu melden.

Im Partymodus

Wer Luxus sucht, der sollte wahrscheinlich woanders hinfahren. Die Restaurants sind von überschaubarer Qualität, ebenso wie die Hotels. Lignano richtet sich an ein eher nicht so zahlungskräftiges Klientel, das schließlich auch irgendwo Urlaub machen muss. Man kennt und bedient hier die Bedürfnisse seines Publikums gut. Am Strand gibt es den ganzen Tag Animationsprogramm: Menschen Anfang 20 springen, tanzen und singen in grellgrünen T-Shirts auf einer Bühne herum und fordern das Publikum zum Mitmachen auf. Wer den Sinn darin nicht sieht, hat wahrscheinlich keine Kinder, die er gern mal für 30 Minuten loswird.

Militärisch akkurat aufgestellte Schirmreihen am Strand.
Foto: Nikolaus Ostermann

In diesen Tagen im Juli steht in Lignano die Luft. Sie sammelt sich am Abend zwischen den Geschäften, den Bars, den Restaurants. Männer wedeln verzweifelt mit ihren T-Shirts, um wenigstens ein bisschen Luftzirkulation auf ihre Haut zu bekommen. An der Promenade, wo am Tag Lignano-Veteranen ihre ledrige Haut stolz wie eine Medaille spazieren führen, hängen am Abend die Jugendlichen herum. Sich präsentieren, so wie überall auf der Welt. Hier sitzen auch Fabio, David und Stefan. Drei Freunde aus Niederösterreich beziehungsweise Kärnten. Zwischen 16 und 21 Jahre alt, ohne Eltern hier. Und dementsprechend im Partymodus.

"Weißt du, wo man hier richtig fortgehen kann?", fragt Stefan. Die Clubs in Italien sind wegen Corona noch geschlossen, das setzt den Eskalationsmöglichkeiten Grenzen. Gut so, das Publikum, das in Lignano in Clubs gehen würde, ist wenig geimpft. Den dreien gefällt es trotz limitierter Fortgehmöglichkeiten hier. Man kann sich ja auch einfach mal in den Abend treiben lassen, an der Promenade. Auf einmal springen Fabio, David und Stefan auf. Ob man das Interview auch im Gehen machen könne, "Wir müssen den Mädels hinterher". Lasst mal stecken, Burschen. Viel Erfolg.

Gut gebucht

"Mascere!" Der ältere Kellner am Hotelbuffet im weißen Sakko ermahnt das italienische Paar, das gerade mit blankem Gesicht zur Kaffeemaschine gehen wollte. Abgesehen von dieser Szene ist Corona zum Zeitpunkt des Besuchs in Lignano mehr oder weniger abgeschafft. Die Menschen sitzen dicht gedrängt, außerhalb vom Gastropersonal sind Masken eine Seltenheit. Es gibt kein Pendant zur "3G-Regel", man kommt überall ungetestet oder ungeimpft hinein. Und auch der ältere Kellner im weißen Sakko trägt den MNS während seiner Ermahnungen unter der Nase.

Für viele Tourismusorte war das Jahr 2020 eine Zerreißprobe. Das gilt auch für Lignano, das noch dazu in der schwer von Corona getroffenen Region Friaul-Julisch Venetien liegt. Im Sommer 2020 hatten die Hotels oft nur eine Auslastung von 30 Prozent, erzählt man sich hier. Es gab Hilfen vom Staat. Diese sind aber wie in Österreich nur als Überbrückung gedacht, jetzt muss das Geschäft wieder anspringen. Und das tut es zum Glück auch.

Die Restaurants sind von überschaubarer Qualität, ebenso wie die Hotels. Lignano richtet sich an ein eher nicht so zahlungskräftiges Klientel, das schließlich auch irgendwo Urlaub machen muss.
Foto: Nikolaus Ostermann

"Es ist auf jeden Fall sehr viel besser als letztes Jahr", sagt Michela Cainero. Die Empfangsmanagerin des American Hotel, von dessen Poolliegen man quasi direkt auf den Strand rollen könnte, sitzt an einem späten Vormittag hinter dem Tresen. Ohrringe mit kleinen Metallmuscheln baumeln von ihren Ohren. Während sie erzählt, erledigt sie immer wieder Anliegen von Gästen und wechselt dabei fließend vom Italienischen übers Englische ins Deutsche. Das Jahr 2020 war eine "Katastrophe", sagt Cainero. Jetzt sei es eine gute Saison, sofern man das jetzt, in der Mitte, schon sagen könne. Das Publikum habe sich ein wenig geändert. Es seien heuer mehr Slowaken, Ungarn oder Deutsche gekommen. Und die Österreicher seien auch wieder da.

In der Luft, die in den Straßen von Lignano steht, liegt eine gewisse Erleichterung. Die Touristen sind zurückgekehrt. Sie fahren mit dem E-Scooter durch die Stadt, bestellen Eisbecher und Aperitifs. Das bestätigt auch das örtliche Tourismusbüro: Die Auslastung im Juli betrug 70 Prozent (verglichen mit 2019), der August ist mehr oder weniger ausgebucht. Die Region Friaul-Julisch Venetien hat dafür einiges getan: Ende Juni gab man Touristen sogar die Möglichkeit, sich vor Ort die zweite Impfung Astra Zeneca abzuholen. Es war eine einmalige Sache – in Lignano dauerte die Aktion zwei Tage –, aber es war ein Zeichen. Denn natürlich ist Corona nicht wirklich abgeschafft. Mittlerweile hat Italien auch wieder eine Impf- und Testpflicht für die Gastronomie und Kulturveranstaltungen.

Normaler Urlaubsort

Und ist Lignano jetzt die "Partystadt", zu der sie gerne gemacht wird? Ja und nein. Vom Pfingstwochenende kursieren tatsächlich grausliche Geschichten von jungen Menschen, die sich in den Springbrunnen übergeben. Kaum verifizierbar, aber für jeden plausibel, der junge Menschen kennt. Von diesem Wochenende abgesehen ist es ein recht normaler Urlaubsort in der unteren bis mittleren Preisklasse, der ein jüngeres Publikum als seine Nachbarn anzieht. Rund um die Fußgängerzone ist es laut und macht Bum-Bum. Nicht so angenehm, wenn man das Zimmer darüber hat, aber dazu zwingt einen ja niemand. Und wenn wir schon bei Mythen sind: Die Vorstellung, dass mit der Impfung alle aufgestaute Energie hervorbrechen und Europa in ein Sodom und Gomorrha verwandeln würde, die war wahrscheinlich vor allem eine Projektion der Erwachsenen in die Jugend.

Und so bleibt am Ende, wenn man das Bum-Bum, die ledrigen Veteranen und den billigen Aperol Spritz hinter sich lässt, vor allem das Gefühl übrig, das alles wieder ein bisschen normal wird. Und das ist ja auch was. Bleibt nur mehr eine Frage: Ob die Jungs an der Promenade wohl ihre Mädels gefunden haben? (Jonas Vogt, 31.7.2021)

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