Jetzt ist was ganz was Schirches passiert. Eigentlich war ich in Kolumnenpension, aber diesmal geht es nicht mehr nur um versaute Karrieren durch Karenz, Kotzorgien nach dem Kindergarten, verlorene Träume der Eltern oder darum, wie ich das Leben meiner Tochter schon jetzt zerstört habe. Es geht um eine überschrittene Grenze. Eine Grenze, an der Toleranz endet und Abscheu, Scham und Verzweiflung beginnen. Vor ihr wird in Erziehungsratgebern nicht gewarnt.

Meine Tochter darf anziehen, was sie will. Sie darf mit Clown- oder Löwenkostüm in den Kindergarten, auch wenn nicht Fasching ist. Ich sage ihr, dass sie an diesem Tag die einzige Kostümierte sein wird. Ihr ist das egal, mir auch.

Das ist Franz.
Foto: Peter Sim

Meine Tochter hört Musik, die ich nicht mag. Das erste Jahr habe ich ihr nur Gutes vorgespielt: die Beatles, Pulp, M.I.A., The Magnetic Fields, MGMT. Zwei Playlists – "The Cool" und "The Cute" – vollgepackt mit den kindischen Liedern guter Bands. Weil ich weiß, dass Kinder Kindermelodien mögen. Seit sie in den Kindergarten geht, hört sie "Aramsamsam", "Die Räder vom Bus" und "Hände waschen" von Simone Sommerland. Das tut weh, damit habe ich aber gerechnet. Vielleicht wird sie einmal die Stones lieber mögen als die Beatles, das wird auch wehtun, damit muss ich aber rechnen.

Wieso nicht Kirche oder Drogen?

Ich liebe viele Bücher, ich mag Thomas Mann nicht. Ich mag auch Menschen nicht, die Thomas Mann mögen. Ich werde alles tun, damit meine Tochter später Jonathan Swift mag und Dostojewski, Wolf Haas und Mary Shelley und hoffentlich Stanislaw Lem. Wenn sie einmal Thomas Mann mag, dann werde ich sie aber weiterhin mögen. Denn ich werde wissen, dass das nur eine Phase ist. Wahrscheinlich eine Phase, um gegen mich zu rebellieren. Wieso es nicht mit Kirche, Drogen, falschen Freunden oder falschen Parteien sein kann, sondern unbedingt Thomas Mann sein muss, werde ich nicht verstehen. Um das wird es ihr wohl gehen.

Doch gestern hat meine Tochter eine Grenze überschritten, an der meine Toleranz endet. Umso schlimmer: Ich wusste nicht, dass ich sie habe. Ich dachte, ich liebe alle Stofftiere. Ich lag falsch.

Seit meine Tochter einmal im Spielzeuggeschäft alles haben wollte – ich mir aber alles nicht leisten kann –, haben wir eine klare Spielzeuggeschäft-Regel: Sie darf sich zwei Sachen aussuchen. Bei einer darf ich mitreden, bei der anderen nicht. Das hat gut funktioniert – bis gestern. Da kletterte im Libro plötzlich dieses Viech an mir rauf. Ich kann es nicht beschreiben, es ist zu schirch. Mit der Stimme meiner Tochter rief es: "Hallo, hallo, hallo, ich glitzer'." Ich hab' mich erschreckt, mich hat's gereckt. Und auf einmal kuscheln die beiden – "sooo weich", schmachtet sie. Wäh. Es krabbelte schon wieder an mir rauf, mich hat es geschüttelt, ich habe mich zu den beiden runtergebeugt und gesagt: "Bitte, bitte, bitte, nicht den." Sie insistierte: "Doch! Der ist so kuschelig." Ich kam leider nicht aus, Regeln sind Regeln.

Ein kleines Ungetüm

Seither hat sie dieses Viech überall mit: auf der Straße, im Kindergarten, im Badezimmer, auf der Couch, im Bett, in der U-Bahn. Es ist mir peinlich. Die Leute schauen. Die ganze Zeit. Was für ein Vater kauft seiner Tochter so eine Abscheulichkeit? Ich will mich entschuldigen, es allen erklären: Bündnistreue und so. Ich hoffe auf einen Wutanfall von ihr, damit die Leute denken: "Was für ein verzogenes Kind!", und nicht mehr auf dieses kleine Ungetüm starren. Sie ist leider vergnügt, kuschelt mit ihm, hält es allen entgegen und sagt: "Hallo! Hallo, hallo, ich glitzer'."

Ich hoffe, diese Phase ist eine kurze und meine Tochter hört bald laut die Stones neben mir, während sie Thomas Mann liest. Bis dahin muss ich mit diesem grauslichen Viech leben. Wir haben es Franz genannt. (Peter Sim, 31.7.2021)