Ögam-Vizepräsidentin Susanne Rabady und Gesundheitsminister Wolfgang Mückstein präsentierten die in einer Rekordzeit von nur vier Monaten erarbeiteten medizinischen Leitlinien.

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Wien – Um bei der Pressekonferenz am Freitag aufzutreten, habe sie den gestrigen Tag auf der Couch verbracht, "und ich weiß nicht, wie es mir nach der Pressekonferenz gehen wird". Auf diese plastische Art schilderte Alexa Stephanou, stellvertretende Leiterin der Selbsthilfeinitiative Long Covid Austria, die Langzeitauswirkungen ihrer Corona-Erkrankung im März 2020.

Beschwerden wie Tinnitus, Oberkörper- und Gelenkschmerzen, Haar- und Hautprobleme sowie – vor allem – wellenförmig auftretende massive Erschöpfungszustände würden ihren Alltag auch 16 Monate nach der akuten Infektion noch prägen, sagte die 38-Jährige. Von Beruf Logopädin und Flugbegleiterin, kann sie diese Berufe immer noch nicht wieder ausüben. Ein Jahr lang sei sie mit ihren Symptomen von Arzt zu Arzt geschickt worden, bevor ihr beschieden wurde, an Long Covid zu leiden.

Einjährige Doktoren-Odyssee

Eine solche – in ihrem Fall auch der Neuheit der Covid-19-Erkrankung im März 2020 geschuldete – Doktoren-Odyssee soll es künftig in Österreich nicht mehr geben. Anlass der Pressekonferenz mit Gesundheitsminister Wolfgang Mückstein (Grüne), der Vizepräsidentin der Österreichischen Gesellschaft für Allgemeinmedizin (Ögam), Susanne Rabady, des Rehabilitationsexperten Ralf Harun Zwick sowie Stephanou am Freitagvormittag war die Vorstellung der Living Guidelines, also der Leitlinien zur Behandlung von Long Covid.

Besagte Leitlinie ist ein 50-seitiges Kompendium, ein fachliches Konsenspapier für – vor allem – die Hausärzteschaft und Medizinerinnen und Mediziner in Ambulanzen. Es soll sie unterstützen, um die langwierige, mit 200 verschiedenen Symptomen extrem facettenreiche und die für die Betroffenen stark belastende Covid-19-Folgeerkrankung möglichst rasch zu erkennen und zu therapieren.

In den kommenden Jahren werde das für das österreichische Gesundheitswesen eine Herausforderung sein, sagte Minister Mückstein, eine "Pandemie in der Pandemie". Auch wenn man sie in der Öffentlichkeit nicht wirklich merken werde, weil Betroffene, um sich zu schonen, zum Rückzug gezwungen seien.

60.000 bis 90.000 Betroffene in Österreich

Wirtschaftlich jedoch werde Long Covid die Republik durchaus fordern, weil viele an Long Covid Erkrankte länger – und manche endgültig – arbeitsunfähig sind. Geschätzt wird, dass es in Österreich derzeit 60.000 bis 90.000 Betroffene gibt. Zehn bis 14 Prozent aller Corona-Erkrankten entwickeln das Syndrom in irgendeiner Form. Junge Menschen – zu 60 Prozent Frauen – hätten oft nur einen sehr leichten oder gar symptomlosen akuten Verlauf erlebt, ältere – vor allem Männer mit Vorerkrankungen – hätten die Infektion vielfach im Krankenhaus auskurieren müssen.

Die Long-Covid-Symptome seien bei ihnen vielfach gleich beeinträchtigend, sagte der Reha-Experte Zwick. 70 Prozent kämen mit Atemnot, 63 Prozent mit extremer Müdigkeit zu ihm zur Rehabilitation. Auch traumatische Erlebnisse während der akuten Erkrankung – Zwick: "Nahtoderlebnisse" – sowie Stigmatisierung, weil man nicht leistungsfähig ist, würden eine große Rolle spielen. Die gute Nachricht: Nur fünf Prozent der Betroffenen würden nach sechs Wochen Behandlung keine Verbesserung spüren.

Einzige Long-Covid-Vermeidungsstrategie: Impfen

Überhaupt, so Rabady, würden sich bei den allermeisten Betroffenen die Beschwerden "nach Wochen bis Monaten bessern", langsam, aber doch. Dementsprechend seien sie zu Geduld mit sich selbst aufgerufen. An ihre – meist trotz allem vorübergehende – verminderte Leistungsfähigkeit müssten sie sich anpassen. Pacing heißt der diesbezügliche Fachbegriff.

Um zu verhindern, dass man überhaupt in eine solche Lage kommt, gebe es nur eins, wurden die drei Fachleute bei der Pressekonferenz nicht müde zu wiederholen: eine vollständige Corona-Impfung. Trotz Delta-Mutation verhindere sie symptomatische Covid-Erkrankungen in hohem Maß – und damit auch Long Covid. (Irene Brickner, 30.7.2021)