"Minari" zeigt das Leben einer Familie aus Korea in Amerika.

Josh Evan Johnson

Heimat geht durch den Magen. Das ist eine unumstößliche Tatsache, sie sichert seit jeher Menschen in der Fremde ein Auskommen. Sie machen Lokale auf, in denen man entweder auswärts essen kann (also anders, als der Gaumen geprägt ist) oder heimwärts. Nämlich so, wie es wäre, wenn man nicht in einem Land der anderen Zutaten, der anderen Gebräuche, ja manchmal sogar der anderen Essbestecke leben würde.

In dem Film Minari von Lee Isaac Chung geht es um eine Familie aus Korea in Amerika. Den Corean Americans fehlt oft ein bestimmtes Grün: eben jenes Minari. Eine Brunnenkresse oder Wasserpetersilie. Fachleute bevorzugen den Begriff Wasserfenchel. Man braucht sie für die Ahnenverehrung, aber auch für scharfe Eintöpfe. Minari lässt sich nicht so leicht ziehen, wächst aber gut dort, wo man nicht unbedingt damit rechnet.

Jacon möchte Minari ziehen, und zwar aus der herrlichen Erde von Arkansas. Ihm schwebt ein Garten Eden auf Koreanisch vor, in dem so viel Minari wächst, dass er ganz Amerika damit beliefern kann. Vorerst täte es aber auch schon die nahe Großstadt Little Rock, wo es ausreichend Landsleute gibt, die als Kundschaft bereitstehen. Jacobs Frau Monica ist die Skeptikerin in der Familie. Sie findet, ihr Hof (de facto ein aufgebocktes Fertighaus inmitten einer prächtigen Halbwildnis) ist zu weit weg von der Stadt.

Sie hätte gern ein Krankenhaus in der Nähe, denn David, der gemeinsame Sohn, ist herzkrank. Er kann jederzeit Hilfe benötigen. Anne, Davids größere Schwester, muss irgendwie selber schauen, wo sie bleibt.

KinoCheck

Bei den Oscars 2021 war der Film Minari sechsmal nominiert, es reichte dann zwar nur für eine Auszeichnung in der Kategorie beste Nebendarstellerin (für die Schauspielerin Yoon Yeo-jeong), dafür sorgen Mentoren wie Brad Pitt, der als Executive Producer mit seiner Firma Plan B beteiligt ist. Das Drehbuch durchlief wohl alle Stadien des "script doctorings", so perfekt ist hier alles aufeinander abgestimmt. Das zerbrechliche Gleichgewicht in der Familie ordnet sich neu, als die Großmutter mütterlicherseits dazustößt: eine schräge Dame. Für den Film ist Soon-ja ein Gewinn, denn nun entwickelt sich so etwas wie ein geheimes Leben, von dem die Erziehungsberechtigten nichts wissen. Die Schauspielerin Joon Yeo-jeong, die sich für ihren Oscar mit einer pfiffigen Rede bedankte, ist in Korea ein Superstar (man kann sie auch in einigen Filmen von Hong Sang-soo sehen), sie verbindet also zwei Welten, ganz so, wie es sich für eine Migrationsgeschichte gehört.

Lee Isaac Chung wurde 1978 in Denver geboren. Der kleine David ist sein Stellvertreter im Film, die Farm in seiner Kindheit lag in den Ozark Mountains. Zum Kino wollte er, weil er diese Geschichte erzählen wollte. Minari schlägt einige sehr interessante Brücken. Im Kern ist er ein Familienporträt, bei dem man durchaus an die japanischen Vorbilder von Yasujiro Ozu denken kann, der Generationen, Geschlechter, Verantwortungen oft in diskrete Spannungsverhältnisse setzte.

Natur als wahre Religion

Zugleich ist Minari aber auch ein amerikanischer Pioniermythos, eine Saga mit einem Hang zum Transzendentalismus, der Feier der Natur als der einzigen Religion, die auf dem Weg durch den Wilden Westen übrig blieb. Dieser Mythos, von dem seit den Tagen von John Ford nicht viel blieb, wird von Lee Isaac Chung wiederbelebt, modernisiert, kulturell gebrochen.

Das Ergebnis ist ein global attraktiver Film, der deutlich macht, dass Heimat zwar immer noch durch den Magen geht, dass das Geschmackserlebnis sich aber längst an viele Aromen gewöhnt hat. (Bert Rebhandl, 31.7.2021)