Farbe und Rituale für eine konzertante Aufführung der "Walküre".

APA/Enrico Nawrath

Es ist ein bisschen so, als käme der Schüler zum Tempel seines Lehrers, den er nie persönlich kennengelernt hat. Jedenfalls nennt Hermann Nitsch den kaltschnäuzigen Musiktheatervisionär Richard Wagner jenen historischen Pädagogen, der ihm die Tür zum Gesamtkunstwerk geöffnet habe. Das Besondere, um nicht zu sagen Ironische an Nitschs Arbeitsbesuch auf dem Grünen Hügel: Der Aktionskünstler inszeniert nicht nur nicht (etwa seinen Lebenstraum Parsifal). Er übermalt gerade mal die konzertante Version der Walküre.

Theoretisch kann der Idee des Gesamtkunstwerks jedoch nichts ferner sein als eine farbrauschige Umkreisung herumstehender Sänger und Sängerinnen, die in schwarzen Kutten auf Stühlen sitzend auf ihren Einsatz warten. Etwa das hier zentrale inzestuöse Kurzzeit-Liebespaar Siegmund und Sieglinde.

Nitschs dreifaches in Echtzeit auch herabrinnend geborenes Bühnenbild (für jeden Akt eines) erweist sich allerdings als schillernde Aufladung der Musik mit farblicher Emotion. Der Ausgangspunkt: Hinter dem Vokalensemble befindet sich in jedem Akt eine weiße Fläche. Sie wird durch eine halbkreisförmig angelegte Wand umfasst, auf der Akteure Farben herabfließen lassen.

Verschmiert, verschüttet

Unten, auf besagter weißer Fläche, wo Akteure von Musik ungerührt Farbe verschütten, mit Besen verteilen oder mit Händen verschmieren, ist Blau, Grün und Violett angesagt. In dieser Kolorierung bedrängt anfänglich das Gewitter Siegmund. Wo Geschwistereros zwischen ihm und Sieglinde ausbricht, wird es aber dunkelrot, für Nitsch die "Farbe der Blutschande".

Es ist schön anzusehen, es gibt Kontraste: Wotans zornige Gattin Fricka wird von Nitsch mit bräunlicher Farbe bedacht, während der Göttervater – ganz von Schwarz umrahmt – depressiv das Ende aller Dinge beschwört. Im ersten und dritten Akt neue Aktionselemente: Jeweils eine gekreuzigte Figur landet mitten im Farbgeschehen. Sie ist im dritten Akt ein Symbol für Brünnhilde, um die Wotan einen Feuerring legt, der in Rot angedeutet wird.

Die Malaktion, an sich nur die erste Stufe von Nitschs Orgien-Mysterien-Theater, entfaltet also ihre synästhetischen Reize. Sie vermag allerdings den Gesang nicht in glanzvolle Höhen zu hieven, was bei Siegmund auch nicht nötig war. Klaus Florian Vogts jugendlich-prunkvoller Tenor verströmt nach wie vor jenen kostbaren Goldsound, dessen Strahlkraft nie ausgeht.

Grandios auch Lise Davidsen als Sieglinde: Sie verbindet kultivierte Diktion und markanten Klang mit einem bei Bedarf intensiv herausgeschleuderten Einzelton, ohne ins Grobe zu kippen. Von Iréne Theorin (als Brünnhilde) ließ sich dies leider nicht behaupten. Da wird Dramatik mit einer vibratobeschwerten Schrillheit erkauft, die schmerzte. Dagegen wirkte Christa Mayer (als Fricka) regelrecht ausgewogen. Solide polterte wiederum Dmitry Belosselskiy (als Hunding) und packend in Diktion und emotionaler Unmittelbarkeit Tomasz Konieczny.

Dieser Wotan wurde erst zwei Tage vor der Vorstellung aus dem Urlaub geholt, um Günther Groissböck zu ersetzten. Grotesk. Unlängst wirkte Groissböck an der Wiener Kammeroper als Regisseur und König Marke in einer Westentaschen-Version des Tristan mit ...

Buh für Dirigent

Wie auch immer. Jedenfalls ergoss sich nach dem Applaus für das vokale Ensemble recht heftiger Unmut über Dirigent Pietari Inkinen. Seine gar nobel auf Feinheiten angelegte Arbeit ging doch zu sehr ins Behutsame. Wer tempomäßig gerne entschleunigt, muss im Gegenzug Intensität aus einer anderen Quelle schöpfen.

Dies sollte Inkinen tun. Schließlich dirigiert er 2022 den ganzen neuen Ring. Insofern war es wohl – kurioserweise – kein Nachteil, dass die Bayreuther Festspiele im Vorjahr wegen Corona ausgefallen waren und die neue Ring-Inszenierung des österreichischen Regisseurs Valentin Schwarz (Jahrgang 1989) auf 2022 verschoben wurde.

So kam es ja auch dazu, dass Hügel-Chefin Katharina Wagner, nach schwerer Krankheit wieder in Amt und Würden, Nitsch einlud, in dieser Saison des Übergangs seine Kunst zu präsentieren. Erregt ja immer noch. Teile der 900 Zuschauer (hier gilt die Schachbrett-Regel) lieferten sich denn auch einen Fight zwischen Buhs, Applaus und Standing Ovations für Nitsch, der von einem Regiepult aus seine Farbarbeiter dirigiert hatte. Insofern war es an diesem Abend ein bisschen so wie immer in Bayreuth, wenn etwas Neues geboten wird.

Übrigens – dies war in einer der Pausen von der Ehefrau des Künstlers, Rita Nitsch, zu erfahren – wird ein Walküre-Bühnenbild der Stadt Bayreuth geschenkt werden.

(Ljubiša Tošić, 31.7.2021)