Politikwissenschafterin Lore Hayek analysiert in ihrem Gastkommentar, warum die Koalitionsparteien gerade jetzt übers Klima zu streiten.

Die türkis-grüne Regierung war von Anfang an zur engen Kooperation gezwungen. Keine zwei Monate nach ihrer Angelobung gab es nur noch das Thema Nummer eins, die Corona-Pandemie, zu deren Bewältigung alle Kräfte gebündelt werden mussten. Im Wahlkampf noch hatte der eine Koalitionspartner die Migrationsbewegungen, der andere die Klimakrise als größte Bedrohung gezeichnet. Während der Pandemiebekämpfung geriet ein wenig in Vergessenheit, dass ÖVP und Grüne in einigen Punkten diametral entgegengesetzte Positionen vertraten und bei welchen Themen welcher Koalitionspartner eigentlich die Themenführerschaft innehaben sollte.

Sebastian Kurz sieht "nicht viele Steine" im Koalitionsgetriebe. Für Werner Kogler ist "eine gute Energie drinnen": Die beiden spazierten zwischen den Hecken in den Gärten des Schlosses Reichenau – am Tag des Sommerministerrates.
Foto: Christian Fischer

Zu Beginn dieses Sommers nun, als die Regierung die Pandemie für beendet erklärt hatte, rückten die Hochwasserereignisse rund um die Welt das Klimathema wieder in den Vordergrund. "Das nützt den Grünen!", ist man sogleich versucht, daraus zu schließen. Man fühlt sich erinnert an das Frühjahr 2011, als die Nuklearkatastrophe von Fukushima dazu beitrug, dass mit Winfried Kretschmann in Baden-Württemberg erstmals ein Grüner Ministerpräsident eines deutschen Bundeslandes wurde. Oder an den Nationalratswahlkampf 2019, als die österreichischen Grünen nach ihrem Ausscheiden 2017 auf der Fridays-for-Future-Welle wieder ins Parlament einzogen.

Win-win-Situation?

Nicht nur die Grünen nutzten die Gunst der Stunde, um – in Person von Klimaschutzministerin Leonore Gewessler – das Thema voranzutreiben. Auch die ÖVP meldete sich zum Klimaschutz zu Wort – man wolle nicht zurück in die Steinzeit, argumentierte Bundeskanzler Sebastian Kurz. Der Aufschrei war vorprogrammiert, aber der Konflikt ist durchaus, aufseiten der Grünen, nicht unwillkommen.

Für beide Koalitionspartner ist nämlich beim Thema Corona nichts mehr zu holen. Die Wählerinnen und Wähler sind zunehmend unzufrieden mit der Situation, und positive Nachrichten sind wenige in Sicht. Da kommt das Klimathema gelegen – auch weil es innerhalb der Koalition Reibung erzeugt. Die Grünen, denen in den vergangenen anderthalb Jahren mehr als einmal vorgeworfen worden war, sie hätten sich von der ÖVP über den Tisch ziehen lassen, können zeigen, dass sie bei ihrem Kernthema hart geblieben sind, und bei Themen wie erneuerbaren Energien oder dem Autobahnausbau einige Pflöcke einschlagen, die von ihren Zielgruppen wohlwollend aufgenommen werden.

Kurz hingegen macht wieder einmal das, was er am besten von allen kann: Er greift aktuelle Stimmungslagen auf und richtet seine Botschaften daran aus. Mit seiner Aussage, man könne die Klimakrise auch ohne Verzicht bewältigen, spricht Kurz genau jene Emotion an, die auch bei der Pandemiebekämpfung inzwischen vorherrscht: Es reicht langsam, wir haben uns jetzt lange genug eingeschränkt, jetzt wollen wir wieder alles tun können, was Spaß macht. Dies zielt auf jene Wählerinnen und Wähler der ÖVP ab, die über die Koalition mit den Grünen unglücklich sind, weil sie sie als wirtschafts- oder tourismusfeindlich sehen. Kurz nimmt also ein Thema auf, das eindeutig einer anderen Partei zuzurechnen ist – eigentlich ein No-Go in der politischen Kommunikation –, und begibt sich in die offene Auseinandersetzung mit dem Koalitionspartner.

Unnötige Spaltung

Die Grünen haben zwar die Themenführerschaft beim Klimaschutz inne, in der Kommunikation könnte jedoch wieder einmal die ÖVP die Oberhand behalten. Die Oppositionsparteien kommen nebenbei damit, dass die Klimafrage zu einem Koalitionskonflikt gemacht wird, in der Auseinandersetzung überhaupt nicht vor.

Langfristig weiß natürlich auch die ÖVP, dass zur Bekämpfung des Klimawandels mehr notwendig sein wird als die eine oder andere technologische Innovation oder dass die Zeit der großen Straßenbauprojekte abgelaufen ist. Man sträubt sich allerdings mit aller Kraft dagegen, der Lockdown-müden und maßnahmengeplagten Bevölkerung nun ein "neues" Problem zu präsentieren, zu dessen Lösung wieder die Mitwirkung jedes und jeder Einzelnen notwendig sein wird – und, ja, tatsächlich auch eine gewisse Form des Verzichts.

Dabei wäre es genau jener gemeinschaftliche Spirit des "ersten Lockdowns" im Frühjahr 2020, mit dem man auch in der Klimafrage die notwendige gesamtgesellschaftliche Anstrengung schaffen könnte. Wenn Österreich eine Vorreiterrolle im Klimaschutz einnehmen will, dann täte die Regierung gut daran, jene Stimmung zu fördern, anstatt für kurzfristigen Zuspruch eine Spaltung beim Thema Klimaschutz zu riskieren. (Lore Hayek, 30.7.2021)