Mikroplastik ist mittlerweile praktisch überall zu finden. Nun stellt sich heraus, dass das Zeug die Zellwände schädigen kann.

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Zwischen dem Beginn seiner Massenherstellung in den 1950er-Jahren und 2015 hat die Menschheit rund 8,3 Milliarden Tonnen Kunststoff produziert. Bei inzwischen etwa 380 Millionen Tonnen jährlicher Produktionsmenge dürften es mittlerweile wohl schon zehn Milliarden Tonnen sein. 80 Prozent gelangten in den Müll, wovon wiederum nur neun Prozent recycelt und 12 Prozent verbrannt wurden.

Der gewaltige Rest landete auf Müllhalden und in der Umwelt. Winzige Plastikpartikel sind inzwischen auf der gesamten Erdoberfläche zu finden, geschätzte 70 Millionen Tonnen Mikroplastik befinden sich in den Ozeanen. Die Atmosphäre ist ebenso voll davon wie die Pole, die höchsten Berggipfel und die entlegensten Tiefseegräben.

Unklare gesundheitliche Folgen

Wo immer es vorkommt, wird es von Mensch und Tier über Flüssigkeiten, die Luft oder die Nahrung aufgenommen. Welche gesundheitlichen Folgen das haben kann, ist in vieler Hinsicht noch unklar. Nun haben zwei Physiker entdeckt, dass Mikroplastik offenbar Zellmembranen mechanisch destabilisieren kann. Wie Jean-Baptiste Fleury von der Universität des Saarlandes und Vladimir Baulin von der Universität Tarragona, Spanien, nun herausgefunden haben, dehnt Mikroplastik die Membranen menschlicher roter Blutkörperchen und verringert dadurch deren mechanische Stabilität stark.

"Aktuell wird über eine mögliche toxische Wirkung von Mikroplastik auf menschliche Zellen diskutiert", erklärt Fleury. Mikroplastik ist unmittelbar nach der Aufnahme in lebende Organismen a priori nicht tödlich. Wissenschaftliche Erkenntnisse weisen aber deutlich darauf hin, dass Mikroplastik zu Entzündungen in Zellen führen kann. "Die Möglichkeit einer Entzündung einer Zellmembran durch einen rein physikalischen Effekt wird jedoch von den allermeisten Studien völlig ignoriert", meint Fleury an.

Spontane Entzündungsreaktion

Tatsächlich ist aus physikalischer Sicht eigentlich keine Wirkung zu erwarten. Eine Zellmembran hat im Grundsatz eher Ähnlichkeit mit einer Flüssigkeit als mit festem Gewebe. Es ist bekannt, dass jede mechanische Wirkung auf eine Flüssigkeit mit der Zeit nachlässt und daher verschwinden sollte. "Überraschenderweise haben wir jedoch beobachtet, dass sich die Membranen von künstlichen Zellen und roten Blutkörperchen in Gegenwart von Mikroplastik dehnen", so der Experimentalphysiker weiter. "Anscheinend entzündet sich die Membran der roten Blutkörperchen des Menschen spontan", erklärt Fleury.

Der theoretische Physiker Vladimir Baulin hat ein mathematisches Modell entwickelt, wie genau diese Plastikpartikel auf Zellmembranen wirken. "Vereinfacht gesagt, hat das Modell von Vladimir Baulin vorhergesagt, dass jedes Partikel einen Teil der Membranfläche verbraucht, was dazu führt, dass sich die Membran um ein Partikel zusammenzieht. Dieser Effekt führt dann zwangsläufig zu einer mechanischen Dehnung der Zellmembran", erklärt Fleury. "Wir konnten überdies experimentell nachweisen, dass das theoretische Modell sogar den Anstieg der Zellmembranspannung quantitativ vorhersagen kann."

Kontinuierlich in Bewegung

Dazu stellte Jean-Baptiste Fleury mithilfe der Mikrofluidik-Technologie ein Modell einer menschlichen Zellmembran und roten Blutkörperchen her, maß die Spannung dieser Membranen in Kontakt mit Mikroplastik. Die Physiker machten dabei eine weitere überraschende Entdeckung: die Kunststoffpartikel blieben auf der Zellmembran nie an einer Stelle, sondern sie wurden durch kontinuierliche Diffusion bewegt. Wie die beiden Forscher im Fachjournal "Pnas" schreiben, könnte diese Diffusion die Ursache für die anhaltende Spannung auf der Zelloberfläche sein.

Der experimentelle Nachweis des theoretischen Modells lässt Rückschlüsse auf die Allgemeingültigkeit dieses Mechanismus zu, der auf eine Vielzahl menschlicher Zellen oder Organe übertragen werden kann, schlussfolgern die Wissenschafter. (red, 30.7.2021)