Für den rasanten Anstieg der Gaspreise gibt es mehrere Gründe. Bis Jahresende werden stabil hohe Preise erwartet.

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Die Gastanks in Europa leeren sich spürbar. Österreichs Erdgasspeicher sind so leer wie noch nie. "Derzeit sind sie gerade noch zu etwas mehr als 30 Prozent gefüllt, das ist ein historischer Tiefpunkt", sagte Lukas Zwieb, Energieexperte der Österreichischen Energieagentur, dem STANDARD. Seinen Angaben nach waren die Speicher im Durchschnitt der letzten zehn Jahre zu zwei Dritteln voll.

Eine Gefahr für die Energiesicherheit Österreichs bestehe nicht, betonte Zwieb. Er spricht von einer "ökonomischen Verknappung". Die Situation ist auch in anderen Ländern ähnlich. So sind europaweit die unterirdischen Speicher nur zu 53 Prozent gefüllt. Im Vorjahr waren es laut der Tageszeitung "Kommersant" zum gleichen Zeitpunkt 80 Prozent, durchschnittlich sind es rund 70 Prozent.

Das wirkt sich auf die Preise aus: Mit 484 Dollar pro 1000 Kubikmeter Gas erreichten die Spotpreise für den Rohstoff am virtuellen Handelspunkt TTF (Title Transfer Facility) in den Niederlanden ein neues Allzeithoch. Die Futures für August lagen mit 491 Dollar für 1000 Kubikmeter Gas sogar noch etwas höher. Der TTF ist einer der wichtigsten Handelspunkte für Erdgas in Europa, weil das hier gehandelte Volumen enorm hoch ist.

Asien als Preistreiber

Für den rasanten Anstieg der Gaspreise gibt es mehrere Gründe: So sind die Lieferungen von LNG-Gas in den letzten Wochen deutlich gesunken. Im Vergleich zum Juni wurden im Juli zwölf Prozent weniger LNG-Gas (rund eine Milliarde Kubikmeter) in die europäischen Terminals eingespeist. Im Jahresvergleich beläuft sich das Minus gar auf 22 Prozent, da alle verfügbaren Ressourcen nach Asien gehen.

Hintergrund ist eine Hitzewelle in Asien, aufgrund deren der Strombedarf durch den massenhaften Einsatz von Klimaanlagen deutlich gestiegen ist. In Asien ist Gas damit noch einmal um 70 Dollar pro 1000 Kubikmeter teurer als auf dem Alten Kontinent.

Doch das Gaspreishoch ist auch auf fehlendes Pipelinegas zurückzuführen. Hier spielt der Streit um Nord Stream 2 eine Rolle. Die Pipeline ist Betreiberangaben zufolge zu 99 Prozent fertig. Im Oktober könnten über den ersten Strang der insgesamt 55 Milliarden Kubikmeter fassenden Leitung erste Lieferungen über die Ostsee kommen.

Noch vor Inbetriebnahme trocknet Gazprom aber den Transit durch die Ukraine, einst Hauptversorgungsstrang für Gas aus dem Osten, aus. Die Transgas-Trasse hat eine Kapazität von 120 Milliarden Kubikmetern pro Jahr. 2019 flossen immerhin noch 89,6 Milliarden Kubikmeter durch. Heuer sollen es nur noch 40 Milliarden Kubikmeter sein.

Gazprom verzichtet

Aufgrund der Engpässe könnte Gazprom theoretisch weitere Kapazitäten anfordern. Die Ukraine sei bereit, weitere Kapazitäten in Höhe von vier Milliarden Kubikmetern pro Monat zur Verfügung zu stellen, um die Befüllung der Speicher in Europa zu beschleunigen, sagte Sergiy Makogon, Chef der Pipelinebetreibergesellschaft in der Ukraine. Gazprom winkte ab. Als bekannt wurde, dass Gazprom auch im August keine weiteren Durchlasskapazitäten bestellt, wurde dies zum Auslöser des aktuellen Preisanstiegs.

Für den Konzern ist die Lage bequem. Er muss derzeit keine Konkurrenz für sein Pipelinegas von LNG-Lieferanten befürchten. Mit dem künstlich geschaffenen Engpass sichert Gazprom seinem neuen Pipelineprojekt eine gute Ausgangsposition. Denn die Nachfrage bleibt so auch in den nächsten Monaten noch sehr hoch. Ein optimaler Start für Nord Stream 2.

Marktbeobachter erwarten bis Jahresende stabil hohe Gaspreise: Wegen der niedrigen Befüllung der Gasspeicher und der seit vier Monaten rückläufigen LNG-Lieferungen sei in den nächsten Monaten mit einem Preisniveau von 460 bis 480 Dollar pro 1000 Kubikmeter zu rechnen, schätzt Maria Belowa, Analystin der Consultingagentur Vygon Consulting. Zwieb sagt eine Entspannung erst mit dem Ende der Heizperiode im nächsten Frühjahr oder der Inbetriebnahme neuer Lieferkapazitäten voraus. (André Ballin, 31.7.2021)