Ein Blick in die Zukunft des HR-Managements wird beim Jahresforum der Personalwirtschaft (Power of People, PoP) geworfen.
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Personalverantwortliche stehen in ihren Unternehmen an vielen Wendepunkten: der Wunsch in Belegschaften nach hybridem Arbeiten und mehr örtlicher Flexibilität. Eine neue Rolle der Unternehmen in ihrer Fürsorgepflicht – Stichwort Drei-G-Hausordnungen und geimpfte vs. nicht geimpfte Teile der Belegschaft. Gleichzeitig gehen sämtliche Entwicklungen, die bereits vor Pandemieausbruch im Gange waren, weiter: Agilisierung, Verflachung der Hierarchien, Umstellung auf digitaleres Recruiting und vielfach Nachbesserungsbedarf in den Führungsqualitäten für die neuen Bedingungen – Stichwort Remote Leadership. Über all dem ist jetzt die Umsetzung des Green Deal in den Organisationen konkret geworden, und der bestehende Mangel an Fachkräften verschärft sich dadurch noch einmal um eine Dimension.

Das diesjährige Jahresforum für die Personalwirtschaft – PoP, Power of People – am 20. und 21. September hat also ausreichend knallharte Themen, die sogenannte HRler, die Human-Resources-Verantwortlichen, treiben. Als Keynoter hat sich Veranstalter Business Circle einen prominenten Namen aus der Kreislaufwirtschaft (cradle-to-cradle) geholt: Michael Braungart. Zu Recht eilt ihm der Ruf voraus, außerordentlich pointiert zu formulieren, was ihm den schmückenden Beinamen "Ketzer und Innovator der grünen Bewegung" einbrachte.

STANDARD: Was muss HR jetzt wissen, was muss HR jetzt im Fokus haben?

Braungart: HR muss sich in ihrer derzeitigen Form auflösen. Menschen sind kein Rohmaterial, das man vermehren, vermeiden, vermindern kann. Noch immer geben Führungskräfte in Vorträgen zuallererst an, wie viele Mitarbeiter sie haben. Das ist nicht die richtige Sicht auf Menschen in Unternehmen. Wenn schon HR, dann nicht Human Resources, sondern Human Relations. Das muss ein Unternehmen leisten, denn Menschen wollen Anerkennung, vor allem die Jungen auf Social Media. Management hat die Aufgabe zu inspirieren, Dinge anders zu machen. Dann entsteht auch Kreativität.

STANDARD: Die endgültige Abkehr vom Imperativ der Effizienz?

Braungart: Totalitäre Führungsstrukturen, in denen es im Wesentlichen ja um Effizienz geht, sind nicht mehr angebracht. All die Maßnahmen dafür sind nicht mehr angebracht. Auch die Achtsamkeit gehört da dazu – diese Konzepte der Mindfulness werden ja letztlich dafür genutzt, um Menschen besser an nicht gute oder sogar an schlechte Arbeitsbedingungen anzupassen. Jetzt geht es um Effektivität, um die Frage: Was ist das Richtige? Und da braucht es Kreativität und sicher keine Angst, etwas anders zu sehen als der Chef – und das vielleicht gar nicht erst zu sagen.

STANDARD: Und Nachhaltigkeit?

Braungart: Corporate Social Responsibility – konkret in ihrer sozialen Dimension intern – ist ein feudalistisches Konzept. Es sagt: Ich kümmere mich um meine Mitarbeiter. Aber diese haben Rechte – und die sollen sie wahrnehmen. Dem Betriebsrat kommt da eine wichtige Funktion zu. Aus nichtigen Gründen mit Kündigung rechnen zu müssen oder gleich die Arbeitsstelle zu verlieren, ist nicht kreativ – also auch dem Kündigungsschutz kommt eine wichtige Rolle zu. Um Nachhaltigkeit geht es eigentlich nicht. Technische und soziale Innovation ist nie nachhaltig.

STANDARD: Verstehe ich nicht. Das ist doch der große Imperativ.

Braungart: Nachhaltigkeit ist gut in der Forstwirtschaft. Echte Innovation ist nicht nachhaltig. Ein Schreibtischstuhl ist nicht nachhaltig, gesundes Sitzen schon. Mozart war nicht nachhaltig. Falco auch nicht, ein Musikstück ist nie nachhaltig.

STANDARD: Wie geht das dann, den Umweltschutz umzusetzen?

Braungart: Rethink statt recycle. Es geht um die Inspiration, Dinge ganz anders zu machen, sagen wir Plastik aus dem Kohlendioxid aus der Atmosphäre zu erzeugen. Echte Ziele, positive Ziele setzen. Die Erderwärmung zu begrenzen ist kein positives Ziel. Es macht Angst, wie die Umweltdiskussion derzeit läuft. Da müssen wir aufpassen, was wir mit den Jungen machen – einige glauben ja schon, sie könnten dem Planeten nur helfen, indem sie ihn von sich entlasten. Da bin ich wieder beim Personalmanagement: Es muss verstanden werden, dass Menschen gut sein wollen, nicht böse und nicht schädlich. 95 Prozent benehmen sich gut, wenn sie die Chance dazu kriegen. Menschen müssen wissen und spüren, dass sie eine Chance sind, keine Belastung. Transparente Prozesse sind dafür zentral wichtig – jeder muss sehen können, was passiert.

STANDARD: Es gibt in Ihrer Beobachtung keine Störenfriede?

Braungart: Doch. Aber das sind vielleicht drei bis fünf Prozent, die gelernt haben, Anerkennung erhalten sie, indem sie Angst machen. Dafür muss man doch wirklich nicht 95 Prozent einschränken oder sogar bestrafen. (Karin Bauer, 3.8.2021)