Frontex-Autos beim litauischen Grenzzaun.

Foto: AFP / PETRAS MALUKAS

Vilnius/Wien/Minsk – Angesichts der stark gestiegenen Zahl irregulär eingereister Flüchtlinge an der litauisch-belarussischen Grenze hat die EU-Grenzschutzagentur Frontex am Freitag weitere 60 Beamte zum Schutz der EU-Außengrenze nach Litauen entsandt. Innenminister Karl Nehammer (ÖVP) wiederholte indes, gemeinsam mit seinem deutschen Amtskollegen Horst Seehofer, die Forderung nach Unterstützung der EU-Kommission für die litauische Regierung. Und auch an der Landgrenze zwischen Griechenland und der Türkei baut Frontex die Überwachung aus. Seit Freitag patrouilliert entlang des Grenzflusses Evros ein Zeppelin.

In Litauen seien derzeit insgesamt 100 Beamte, 30 Streifenwagen und zwei Helikopter im Einsatz, wie Frontex mitteilte. Die Zahl wurde in den vergangenen Wochen kontinuierlich aufgestockt. Die Beamten sollen den litauischen Kollegen bei Grenzkontrollen, Grenzüberwachung sowie bei der Registrierung und Identifikation der irregulären Migranten helfen. Kommende Woche würden zudem Experten des Frontex-Zentrums für Rückführungen in Vilnius über mögliche durch die Agentur koordinierte Abschiebungen von Menschen ohne Bleibeperspektive beraten.

Brief an EU-Innenminister

Die EU-Kommission hatte in den vergangenen Tagen mehrmals betont, Litauen in der aktuellen Situation zu unterstützen. Erst gestern wandte sich EU-Migrationskommissarin Ylva Johansson mit einem Brief an alle 27 EU-Innenminister, um sie über geplante und bereits gesetzte Schritte zu informieren. "Wir müssen Litauen jetzt unterstützen, das ist das Wichtigste, was wir jetzt tun können. Wir müssen diese irregulären Ankünfte stoppen", sagte Johansson kürzlich im Interview mit dem litauischen Sender LRT. Der Schutz der EU-Außengrenze habe Priorität. Zudem berate man mit Drittstaaten wie etwa dem Irak über die Rückführung von Geflüchteten.

Nehammer und Seehofer unterstützen dieses Anliegen. "Wir erwarten, dass die Kommission die litauische Regierung beim Außengrenzschutz unterstützt, unabhängig davon welches rechtsstaatliche Mittel Litauen hierfür wählt", so Nehammer und Seehofer in einer Stellungnahme. Es wäre "fatal", die Förderung nur auf die Versorgung und Unterbringung der bereits im Lande befindlichen Migranten zu beschränken. Ohne einen funktionierenden Außengrenzschutz werde das europäische Projekt scheitern, erklärten die beiden Innenminister. Europa müsse jetzt die richtigen Signale senden.

Nehammer fordert Unterstützung für Zaunbau

Nehammer hatte die EU zuletzt mehrmals wegen deren Vorgehens in Litauen attackiert. So kritisierte er etwa, dass die Kommission den von Vilnius geplanten Grenzzaunbau nicht finanziell unterstütze und stattdessen Aufnahmezentren errichte. Das sei das "völlig falsche Signal", sagte Nehammer am Donnerstag bei der Verabschiedung von 13 Cobra-Beamten, die Litauen beim Grenzschutz unterstützen sollen.

Angesprochen auf die Kritik Nehammers zum Zaunbau, sagte Johansson gegenüber LRT, dass es der Kommission nicht möglich sei, einen Zaun direkt zu finanzieren. Die Brüsseler Behörde habe aber Litauen in der aktuellen Lage rund zehn Millionen Euro zur Verfügung gestellt, die insbesondere auch für Grenzmanagement und -schutz vorgesehen seien. "Aber ich stimme natürlich zu, dass wir unsere externen Grenzen noch mehr und besser schützen müssen", räumte sie ein. Die EU-Kommission sei jedenfalls bereit, hier weiter zu unterstützen.

"Keine Migrationskrise"

Die schwedische Kommissarin betonte aber auch, dass die derzeitige Situation an der litauisch-belarussischen Grenze keine "Migrationskrise" sei, sondern es sich um einen "Akt der Aggression" und eine "Attacke" seitens des belarussischen Machthabers Alexander Lukaschenko handle.

Lukaschenko hatte der EU wiederholt damit gedroht, als Reaktion auf die gegen sein Land verhängten Sanktionen Flüchtlinge aus Kriegsgebieten passieren zu lassen. Laut Geheimdienstberichten sollen sogar Flüge aus bestimmten Staaten nach Minsk organisiert worden sein. Die Zahl der Grenzübertritte in Litauen, das eine fast 680 Kilometer lange Grenze zu Belarus (Weißrussland) hat, ist in den vergangenen Wochen deutlich gestiegen. Seit Jahresbeginn wurden laut Frontex mehr als 3.200 illegale Übertritte von Belarus registriert, ein Großteil der Menschen kommt demnach aus dem Irak, der Republik Kongo und Kamerun.

Belarus provoziere die EU mit den Mitteln der Migration, kommentierten Nehammer und Seehofer. Das sei "besorgniserregend". Der belarussischen Regierung gehe es um die Verfolgung politischer Ziele auf dem Rücken der Migranten. "Wir kennen dieses Vorgehen aus der Vergangenheit an anderer Stelle der EU-Außengrenze", sagten sie in Anspielung auf die Türkei. Präsident Recep Tayyip Erdoğan hatte im Frühjahr 2020 der EU damit gedroht, Migranten mit Bussen an die Landgrenze zu Griechenland bringen zu lassen.

Zeppelin an griechischer Landgrenze

An der Grenze zwischen Griechenland und Bulgarien baut Frontex momentan ebenfalls die Überwachung aus. Seit Freitag patrouilliert entlang des Grenzflusses Evros ein Zeppelin, der mit Thermalkameras und anderen Beobachtungsgeräten ausgestattet ist. Der Einsatz findet in Kooperation mit den griechischen Sicherheitsbehörden statt. Die Informationen, die das Gefährt übermittelt, werden in Echtzeit an Frontex und die griechischen Behörden weitergeleitet.

Nach Angaben des UN-Flüchtlingshilfswerks sinkt die Zahl der irregulären Grenzübertritte am Fluss Evros. Seit Jahresbeginn haben ihn demnach gut 2.700 Migranten passiert. 2020 waren es knapp 6.000 Menschen, 2019 waren es rund 15.000. (APA, red, 30.7.2021)