Dorrer ging mit 23 nach England, um dort mit dem größten Gaming-Youtuber der Welt zu arbeiten. Nach einem Jahr wechselte er zu einem der bekanntesten Youtuber Deutschlands, für den er seit sechs Jahren erfolgreich arbeitet.

Foto: eosandy.com

Pewdiepie und Gronkh gehören zu den erfolgreichsten Gaming-Youtubern der Welt. Schon lange sind diese Content-Schaffenden, die ein Millionenpublikum unterhalten, kein Einzelpersonenunternehmen mehr, sondern beschäftigen zahlreiche Mitarbeiter. Einer davon ist Michael Dorrer, im Netz auch als Kapuzenwurm bekannt.

Der Österreicher lebt derzeit in Köln, erarbeitet neue Konzepte für seinen Arbeitgeber Erik Range und produziert zusätzlich eigene Videos. Die meisten Skills, die es für seine Arbeit benötigt, hat er sich über Youtube-Videos selbst beigebracht – während seiner Zeit beim Bundesheer, weil ihm dort aus Langeweile die Idee gekommen ist, sich selbst beim Spielen filmen zu wollen.

DER STANDARD hat mit dem heute 29-jährigen gelernten Bürokaufmann über den in Österreich noch wenig verbreiteten Wirtschaftszweig gesprochen, mangelnde Work-Life-Balance und wie man mit ein wenig Mut plötzlich für den populärsten Youtuber der Welt arbeiten kann.

STANDARD: Viele Kinder träumen aktuell von einer Karriere als Youtuber oder Streamer. Nach Ihren vielen Jahren in diesem Business, würden sie den Job Ihrem eigenen Kind empfehlen?

Dorrer: Ursprünglich habe ich wie viele andere zuerst meine Schule und dann meine Lehre als Bürokaufmann in Wien abgeschlossen. Die ganze Branche ist noch recht jung. Social Media generell hat wahnsinnig viele neue Berufssparten geöffnet und daher ist es schwer zu deuten, in welche Richtung sich das Ganze entwickelt. Deshalb würde ich meinem Kind wahrscheinlich empfehlen zuerst einen Abschluss zu machen, sei es eine Lehre oder ein Studium.

STANDARD: Vor sieben Jahren sind Sie nach Brighton gezogen, um für Felix "Pewdiepie" Kjellberg zu arbeiten, dem damals reichweitenstärksten Gaming-Youtuber der Welt.

Dorrer: 2015 hat Felix in seinem Forum einen Aufruf gestartet. Er suchte einen Cutter für seine Best-of-Videos. Mitten in der Nacht habe ich mich an den PC gesetzt und innerhalb von ein paar Stunden mein Video eingereicht. Ich erinnere mich noch genau an den Moment, als meine Mutter in das Zimmer kam und ich ihr erzählt habe, was ich gerade mache. Sie ermutigte mich, obwohl es damals völlig verrückt geklungen haben muss. Eine Woche später kam eine Email von Felix, dem mein Video gefallen hatte.

Zuerst habe ich von zuhause aus für ihn geschnitten und editiert, bis er mich fragte, ob ich nicht zu ihm nach England ziehen wolle, um mehr Aufgaben übernehmen zu können. Ich habe dort in seinem Team, das zu der Zeit nur aus ihm, einem weiteren Cutter und mir bestand, weiterhin täglich Videos geschnitten. Dazu kam ein Haufen organisatorischer Sachen, die ich übernommen habe.

Dorrer (Links) mit Felix Kjellberg (mitte), der vor allem durch sehr extravagante Auftritte erfolgreich wurde.
Foto: Michael Dorrer

STANDARD: Was haben Sie in Ihrer Zeit in England lernen können?

Dorrer: Abgesehen von stark verbesserten Englischkenntnissen habe ich vor allem mitbekommen, wie viel Organisation hinter so einem Youtube-Channel stecken kann. Das beginnt bei der Planung von Videos für die kommenden Tage. Wir haben immer darauf geachtet, dass der Content abwechslungsreich und kreativ genug ist und das kostet je nach Format auch Vorbereitung. Was lade ich die nächsten Wochen hoch, wer schneidet welches Video und falls einmal ein "Brand Deal" anstand, was sind die Wünsche des Kunden und vor allem, was können wir daraus für ein Video machen?

STANDARD: Wie kam es zum Wechsel nach Köln?

Dorrer: Ende 2016 habe ich den Youtuber Gronkh kontaktiert, weil ich gelesen hatte dass dieser Verstärkung für sein Team sucht, um weitere Youtube-Formate zu testen. Ich hatte zu diesem Zeitpunkt ein sehr lehrreiches, forderndes Jahr hinter mir und durfte viele tolle Erfahrungen machen. Ich habe allerdings auch immer mehr den Wunsch gespürt, wieder meine eigenen Videos und Streams zu starten, was neben der sehr zeitintensiven Arbeit in England einfach nicht möglich war. Einen Monat später wohnte ich in Köln.

STANDARD: Können Sie uns ein wenig hinter die Kulissen großer Youtuber führen? Klischees würden behaupten, drei Leute sitzen gemeinsam im Wohnzimmer, trinken Energy Drinks, spielen Videospiele und haben eine gute Zeit.

Dorrer: Es ist grundsätzlich wie ein typischer Bürojob. Du fängst in der Früh an, stimmst dich ab, planst für die nächsten Tage und bearbeitest Videos oder beantwortest Emails. Als Außenstehender unterschätzt man sicher oft wie durchdacht so ein Channel ist und wie viel Arbeit er erfordert. Das Ding bei uns war, dass selbst im Urlaub die nächsten Videos geplant und fertig sein mussten, das heißt man hat nie wirklich Feierabend, du schaltest nie wirklich ab, weil die Zeit niemals still steht. Das erzeugt auf Dauer einen unheimlichen Druck. Jeder, der so einen Channel betreut und erfolgreich ist, muss eine ungeheure Disziplin haben und super durchorganisiert sein.

Highlights waren dann sicher spezielle Kooperationen. Wir hatten unter anderem einmal die Organisation "Make a Wish" bei uns im Büro, eine Organisation, die versucht kranken Kindern einen Wunsch zu erfüllen. Einige dieser Kinder wollten "Pewdiepie" treffen und waren dann den ganzen Tag bei uns im Büro und haben mit Felix gezockt.

Auf Gaming-Messen wird genauso gefilmt wie im Studio. Abwechslung hält Youtube-Kanäle langfristig am Leben.
Foto: eosandy.com

STANDARD: Sie sind derzeit bei Gronkh angestellt, sozusagen in seinem Netzwerk und produzieren eigene Sachen. Welche Vor- und Nachteile hat es, nicht selbstständig in der Szene zu sein?

Dorrer: Es birgt immer Risiken, wenn du selbstständig bist, besonders in einer Branche, die noch so jung ist. Dadurch war es für mich sicherer einem Team beizutreten, welches viel Erfahrung in der Branche hat und weiß, was es tut. Wir sind auch gerade dabei uns etwas breiter aufzustellen und planen etliche neue Projekte. Unser aktuelles Team zieht zusammen an einem Strang und besteht aus Leuten, die ich seit über sechs Jahren kenne und denen ich vertraue.

STANDARD: Kann man heute überhaupt noch berühmt auf Youtube oder Twitch werden?

Dorrer: Dadurch dass Twitch und Youtube heute so bekannt sind, finden sich auf den Startseiten meist die etablierten Streamer wieder. Diese können mit etwas Glück viel Geld mit ihrer Arbeit machen, aber bis man dort angelangt ist kann das Jahre dauern. Ich denke, Außenstehende unterschätzen oft, dass es schon eine gute Weile dauert, bis man überhaupt mit seinem Content ein Plus macht. Du wirst am ersten Tag nicht deinen Stream anschmeißen und gleich mehrere hundert Zuschauer haben, die dich unterstützen.

Dorrer (links) mit seinem derzeitigen Arbeitgeber Erik Range (mitte), der mittlerweile auch als Synchronsprecher für Kinofilme gebucht wird, etwa LEGO Batman Movie oder Spider Man: A New Universe.
Foto: Michael Dorrer

STANDARD: Wo entwickelt sich die Szene hin? Werden Sie in zehn Jahren noch vor der Kamera stehen?

Dorrer: Ich denke Social Media, Youtube, Twitch und alles, was dazu gehört, befindet sich noch in den Kinderschuhen. Die Plattformen werden sich vermutlich wandeln, nicht aber die Selbstdarstellung im Internet. Das Medium wird sich einfach ständig weiterentwickeln und solange ich mit der Zeit gehe und Spaß an dem Ganzen habe, werde ich hoffentlich noch lange weitermachen können! Die ganze Sparte bietet genug Abwechslung und ist vielschichtiger, als man glaubt. Ich habe mir schon öfter die Frage gestellt: "Was mache ich, wenn das alles mal vorbei ist?" Das kann dir aber heutzutage in jeder Berufssparte passieren.

Ich glaube die Frage stellt man sich ganz besonders bei einem Job wie meinem, der noch nicht überall in der Wahrnehmung der Leute angekommen ist. Man vergisst dabei immer, dass bereits jetzt schon klassische Jobs, die mir in der Schule empfohlen wurden, ebenfalls durch die Automatisierung und Digitalisierung vom Aussterben bedroht sind. Einzelhandelskaufleute, Flugbegleiter, Reisebüromitarbeiter und selbst mein gelernter Beruf als Bürokaufmann ist gefährdet. Corona hat meine Sparte im Vergleich sehr gut überstanden, während in anderen Branchen die letzten Monate zu einer großen Herausforderung geworden sind.

(Alexander Amon, 31.7.2021)