Wenn Verbrechen aus sogenannten vorurteilsbedingten Motiven begangen werden, muss dies von den Behörden festgehalten werden.

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"Braunes Herz" heißt die Chatgruppe, in der ein Kochlehrling nach eigenen Angaben "jeden Tag irgendwo Nazi-Sticker" gepostet hat, alles darin habe sich um das Dritte Reich gedreht, eine "ständige Verherrlichung" sei das gewesen. In der Gruppe werden schließlich Sprengstoffanschläge auf die Regierung diskutiert. Schauplatzwechsel in die Offline-Welt: Ein Mann beschimpft einen Nachbarn rassistisch als "Zigeuner" und "Gesindel", versucht ihm ins Gesicht zu schlagen und droht mit dem Umbringen.

Diese beiden Vorfälle haben etwas gemeinsam: Sie sind "Hate-Crime", also vorurteilsmotivierte Straftaten. Das bedeutet, dass sie begangen wurden, weil der Täter oder die Täterin das Opfer aufgrund bestimmter – wenn auch nur vermuteter – Identitätsmerkmale angreifen wollte. Das kann das Geschlecht sein oder die Sexualität, das kann die Herkunft sein oder das Alter, genauso wie eine Behinderung oder der soziale Status. Ein Beispiel: Unter "sozialen Status" könnte etwa fallen, wenn Personen aufgrund ihrer Obdachlosigkeit attackiert werden. Strafrechtlich macht es einen Unterschied, ob eine derartige Motivation hinter der Tat stand.

Explizit erfasst

Seit November 2020 hält die Polizei in ihren Aufzeichnungen derartige Motive nun explizit fest. Soll heißen: Wird eine Frau verprügelt, weil der Täter glaubt, sie sei Jüdin, dann wird das nicht nur als "Körperverletzung" registriert. Zusätzlich wird vermerkt, dass der Grund für die Tat Antisemitismus war.

Diese Daten sollen dann die Grundlage für mehrere Dinge liefern: Einerseits sollen sie die bessere Versorgung der Opfer durch die Polizei ermöglichen, andererseits eine zielgerichtete Verfolgung durch die Justiz sicherstellen. Damit versuchen die Behörden nun auch zu dem aufzuschließen, was jahrelang von NGOs erledigt wurde: die Dokumentation von diskriminierenden Straftaten.

Innenminister Karl Nehammer (ÖVP) präsentierte vergangene Woche die Zahlen dazu. 1936 sogenannte "vorurteilsmotivierte" Straftaten wurden zwischen November 2020 und April 2021 registriert. Die größten Kategorien: 724 betrafen die Kategorie Weltanschauung, 309 Religion, 157 die Hautfarbe, 129 das Geschlecht. Die statistischen Erhebungen wurden von einem umfassenden Forschungsbericht des Instituts für Rechts- und Kriminalsoziologie begleitet. Und dieser offenbart noch einige Analysen, die für die tägliche Polizeiarbeit relevant sein sollten – über die rein statistische Erhebung hinaus.

Nachdem Österreich nun seine Zählweise geändert hat, sind internationale Vergleiche schwierig. Im ersten halben Jahr, in dem Polizistinnen und Polizisten bestimmte Vorurteilsmotive explizit erfassten, wurden 22 Straftaten pro 100.000 der Wohnbevölkerung dokumentiert und damit eine Quote von 44 im Jahr. Das ist 31-mal so viel, wie Österreich zuletzt für das Jahr 2019 an das Menschenrechtsbüro der OSZE berichtet hat, und das ist viermal so viel wie in Deutschland – das ist allerdings laut Bericht nicht überraschend, nachdem nun eben der Begriff weiter gefasst wird als bisher.

Höchste Hasskriminalität in UK

Kriminologe Walter Fuchs, Autor des Berichts, hält fest: "Dieser neue österreichische Schätzwert ist allerdings immer noch deutlich niedriger als der Wert des Landes der mit Abstand höchsten Hasskriminalitätsrate in Europa", nämlich des Vereinigten Königreichs, da wurden in einem ganzen Jahr 159 vorurteilsmotivierte Straftaten pro 100.000 Einwohner an die OSZE berichtet.

Wer sind typische Hate-Crime-Täter und -Täterinnen? Und was kennzeichnet die Opfer? Knapp formuliert ist der Hasstäter mit hoher Wahrscheinlichkeit ein junger Österreicher, der nicht in Wien wohnt. Mehr als ein Fünftel der Tatverdächtigen von Hate-Crimes sind zwischen 14 und 18 Jahre alt – in der Altersgruppe sind das, was die gesamte Kriminalstatistik angeht, nur elf Prozent. Besonders jung sind die Täter bei Vermögensdelikten, bei Delikten gegen den öffentlichen Frieden und nach dem Verbotsgesetz.

Zum Verbotsgesetz merkt Fuchs an: "Verhetzungen und nationalsozialistische Wiederbetätigungen stellen sich somit zu einem guten Teil als jugendliche Grenzüberschreitungen dar." Dieser Befund sei als "durchaus beunruhigend" zu betrachten. Nötig wären, so heißt es im Bericht, "verstärkte Möglichkeiten zur Prävention und Normverdeutlichung in den Bereichen Rechtsextremismus, Rassismus und Medienkompetenz bei Jugendlichen".

Der Ausländeranteil bei den Tatverdächtigen ist am niedrigsten bei Delikten, die gegen eine bestimmte Weltanschauung gehen (17 Prozent) und gegen eine bestimmte Hautfarbe (18 Prozent). Besonders hoch ist er, wenn es um Delikte gegen Christen (71 Prozent) oder gegen ein bestimmtes Geschlecht (49 Prozent) geht.

Corona beeinflusste Untersuchung

Auf Täter- wie Opferseite spielt der Erhebungszeitraum eine Rolle: Weil er mitten in der Pandemie lag, sind bestimmte Straftaten wohl unter- oder überrepräsentiert. Gibt es keine Partys oder Festivals, ist anzunehmen, dass es zu weniger verbalen, körperlichen oder sexuellen Übergriffen kommt. Im Bericht heißt es weiter: Das dürfte auch "die Häufigkeit von Straftaten mit Opfern aus der LGBTQ-Szene beeinflusst haben: Unter ,normalen‘ Umständen wären wahrscheinlich mehr Delikte mit dem Vorurteilsmotiv ,sexuelle Orientierung‘ verzeichnet worden."

Opferzahlen werden im Bericht nur bei Gewaltdelikten erfasst, und da zeigen sich erhebliche Unterschiede zwischen den einzelnen Vorurteilsmotiven. So wurden 21 Opfer bei Verbrechen gegen Juden, 25 Opfer bei Verbrechen gegen Christen und 63 Opfer bei Verbrechen gegen Muslime gezählt. Wohlgemerkt: In allen Fällen kann es auch sein, dass der Täter diese Zuschreibung nur annahm, sie aber gar nicht korrekt ist.

Bei Gewaltdelikten, die aufgrund eines Vorurteils gegen das Geschlecht begangen wurden, waren 90 Opfer weiblich und drei divers, nur einer war ein Mann. Richtete sich ein Verbrechen gegen die sexuelle Orientierung, betraf das am häufigsten Homosexuelle (42), elf wurden als bisexuell und zehn als heterosexuell wahrgenommen. (Vanessa Gaigg, Lara Hagen, Gabriele Scherndl, 2.8.2021)