Acht komfortable Sitzplätze, dahinter immer noch ein Kofferraum, und unter allem ein 100-kWh-Akku, der für eine Reichweite von fast 350 Kilometern gut sein soll. Da muss man kein E-Auto-Skeptiker sein, um schon beim Einsteigen gewisse Zweifel zu haben.

Gut, unter dem Begriff Bus kennen wir auch größeres als die Vans, zu denen die V-Klasse gehört, aber für einen Pkw ist dieses Auto schon, na ja, sagen wir riesig. Und ganz haben wir uns im Kopf ja noch nicht davon gelöst, dass ein E-Auto mehr so i-MieV-klein als Elefanten-tron groß sein soll. Und der EQV ist noch größer.

EQV nennt Mercedes-Benz die rein elektrisch angetriebene V-Klasse. Sie ist klar für die Langstrecke ausgelegt, darauf deuten Komfort, Akkugröße und die Schnelllade-Leistung hin.
Foto: Gluschitsch

Da ist es dann schon erstaunlich, dass wir im Test mit einer Ladung eher 400 als 300 Kilometer weit gekommen sind. Gut, wir haben den sanften Riesen nicht getreten, sondern ließen ihn gleiten. Das passt auch ganz gut zu ihm, mit dem sehr hochwertigen Interieur. Da will man nicht dauernd im Gurt hängen oder sich an Haltegriffen festklammern.

Relativierungsorgie

Und gut, wir brauchten im Testzeitraum selten die Klimaanlage. Hat es außen 35 Gräder, und du willst die rund fünf Kubikmeter Innenraum auf deren lauschige 18 herunterkühlen – ja, der hat auch eine Klimatisierung im Fond –, und dein Ziel ist die genormten 348 Kilometer weit weg, wirst du ohne Zwischenladen sicher auch ganz schön ins Schwitzen kommen. Versprochen.

Und noch einmal gut, als Zugeständnis, wir haben im Test die 3,5 Tonnen höchstzulässiges Gesamtgewicht nicht ausgekostet. Außer hin und wieder den Wocheneinkauf und permanent das Ladekabel haben wir dem Kofferraum nichts zugemutet. Das hilft natürlich auch, den Verbrauch zu senken – aber trotzdem.

Dabei sind die 400 Kilometer am Stück nur ein Teil der Ansage. Da haben wir nämlich auch noch das Schnellladepotenzial des EQV. Mit bis zu 110 kW pumpt der Benz Energie in seine Akkus. Dann ist er in einer Dreiviertelstunde von zehn wieder auf 80 Prozent geladen. In meinem ganz persönlichen Fall heißt das: langstreckentauglich – zumindest, wenn es die passende Ladeinfrastruktur dafür gibt.

Das Cockpit entspricht dem eines aktuellen, hochwertigen Pkw, nicht dem eines Nutzfahrzeuges.
Foto: Gluschitsch

Und sieh an, auf den heimischen Autobahnen gibt es einige Ladestationen, die bis zu 350 kW bereitstellen. Die sind aktuell zwar nicht leicht vorab zu finden, aber die Asfinag erklärte auf Anfrage, dass ein entsprechendes Online-Tool in Kürze bereitsteht.

In einem ersten Schritt kann man sich damit helfen, nach Ionity-Ladesäulen zu suchen. Daheim, an der normalen Steckdose, lädt der EQV eine gefühlte Ewigkeit, mit einer Elf-kW-Wallbox sind die Akkus aber in unter zehn Stunden voll. Da gingert sich das Laden also auch bei einem Nine-to-five-Job gut aus.

Hedonismusseminar

Akkus-Laden geht also gut – aber wie kurzweilig ist es, sie auch wieder zu leeren? Oder anders gesagt: Und wie fährt sich der Koloss? Wie ein Pkw. Man braucht keine Spezialausbildung für den Schwerlastverkehr. Eher wäre ein Hedonismusseminar angebracht.

Auch wenn in einem großen Wagen viel Luxus Platz hat, sind Nutzfahrzeuge an sich eher spartanisch eingerichtet. Und der Grundgedanke, auf den die V-Klasse zurückgeht, ist es schon, ein Arbeitsgerät zur Verfügung zu stellen. Diese Anforderung schafft der EQV auch, aber man merkt es ihm beim Fahren nicht an.

Große Klappe – hat er.
Foto: Gluschitsch

Wo man hartes, robustes Plastik als Verkleidung vermuten würde, findet man hier Leder und edle Blenden – einmal in Hochglanzoptik, einmal gebürstet. Hinter dem Lenkrad – mit den von Pkw bekannten vielen Knöpfen – gibt es zwar zwei Rundinstrumente, dazwischen aber einen Info-Bildschirm, und auch auf der Mittelkonsole thront eine Art Tablett, das alle Stückerln spielt, die man von einem modernen Auto gewohnt ist. Bei den Assistenzsystemen spielt der EQV ebenfalls auf der Pkw-Klaviatur – und sogar was das Fahrgefühl angeht. Dank Luftfahrwerk ist man, egal ob allein oder vollbeladen, immer komfortabel unterwegs.

Grafik: Der Standard

Gut, das hat halt dann auch seinen Preis. Dieses Luxuspaket samt reichweitenstarkem E-Antrieb kostet zumindest einmal 86.080 Euro. Mit den Extras, die der Testwagen verbaut hat – das Panoramaschiebedach, die Burmester-Sound-Anlage und die 360-Grad-Kamera zum Einparken etwa – stehen sogar etwas mehr als 93.000 Euro auf der Rechnung.

Andererseits erinnere ich mich, dass wir auch schon weniger vielseitige und spröder eingerichtete Verbrenner-Fahrzeuge um einen Preis von jenseits der 100.000 Euro im Testfuhrpark hatten. So gesehen – na ja, nein, ein Schnäppchen wird draus trotzdem nicht. Die konventionell angetriebene V-Klasse beginnt in der Länge bei 60.697 Euro. Und um die restlichen gut 32.000 Euro kann man viele Extras ordern. Doch dann ist man halt nicht elektrisch unterwegs. Das Gewissen fährt ja auch mit.

Mehrfachnutzen

Andererseits kann man mit dem EQV ja auch gut sparen. Stromtanken ist billiger, als Sprit einfüllen. Wenn man dann am Wochenende auch noch im Heck die Sitze rausgibt und derstatt eine feine Matratze und einen Schlafsack reinlegt, kann man auch bei den Hotelkosten für einen Kurztrip sparen. Im Burgenland gibt es ja bei einigen Weinbauern offizielle Stellplätze, sogar direkt im Weingarten. Na, wenn das nicht romantisch ist.

Sollte nach einer solchen Unternehmung dann doch noch Geld übrig bleiben – ein paar Karton Wein haben zum Glück ja noch Platz. (Guido Gluschitsch, 14.8.2021)