"Ungarn ist so nahe, dass ich, wenn ich nur will, auf Schusters Rappen dorthin reisen könnte", steht auf dem Etikett zu lesen. Es geht um das "Ursprungsland dieser (diesseits der Grenze) seltenen Sorte, die man mit 139 (!!) Namen kennt". Es geht um Furmint.

Furmint? Das war vor 100 Jahren die klassische pannonische Rebsorte. Als das heutige Burgenland entstand, erlebten der Weinbau und damit auch der Furmint eine Hochblüte. In der Umfassenden Beschreibung der Ungarischen Weinbaugebiete, die der Chronist Franz Schrams schon 1832 verfasste, ist die Rede von der "Vorliebe der Weinbergseigenthümer" für den Furmint, "daß sie ihn beynahe allein nur cultiviren". Er schreibt vom gerühmten Gewürzgeschmack, der durch keines der bekannten Gewürze nachgeahmt werden könne, erzählt Michael Wenzel.

Die Historie

Sein Weingut in Rust nimmt eine Pionierrolle im Furmintanbau ein. Mittlerweile ist ein Drittel seiner Fläche mit dieser Sorte bepflanzt. 8.000 Stöcke stehen in fünf Rieden in und um Rust, das nicht nur wegen des Ruster Ausbruchs als Mekka für Süßweinfans gilt. Wenzel sagt: "Wenn Furmint nicht die Hauptrebsorte war, dann jedenfalls sehr verbreitet in Rust und in anderen Gemeinden rund um den See."

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8.000 Stöcke in fünf Rieden baut Furmint-Winzer Michael Wenzel in und um Rust an.
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Trotzdem schrammte der Furmint nur knapp am Aussterben vorbei. Warum ist er in Vergessenheit geraten? "Weil das 20. Jahrhundert so turbulent und katastrophal verlaufen ist", sagt Wenzel. Es begann schon Ende des 19. Jahrhunderts mit der Reblaus. Ihr fiel mindestens ein Drittel der Fläche zum Opfer. Ein weiterer Aspekt: "Das weinbauliche Anbauzentrum war hauptsächlich das Westufer des Neusiedler Sees, aber das Handelszentrum war Ödenburg." Im heutigen Sopron florierte der Weinhandel, wie man es aus Bordeaux kennt. Vorwiegend prägten angesehene jüdische Händler wie die Familien Lenck oder Russ die Branche. Sie vermarkteten den Wein, speziell auch den süßen Ruster Ausbruch, in ganz Europa. Mit dem Zusammenbruch der Monarchie und der Vertreibung der jüdischen Familien kollabierte der Geschäftszweig.

Opa Wenzel, Jahrgang 1902, erzählte oft von der hoffnungslosen Lage in den 1920ern. Von der Spanischen Grippe und der Wirtschaftsdepression. Er war aus der Krise heraus innovativ. Als erster Ruster füllte er in Flaschen ab und verkaufte diese mit eigenem Etikett. So brachten die drei, vier Hektar genug Erlös, um die Familie gut über den Zweiten Weltkrieg zu bringen. Die berühmten Weinhandelshäuser in Sopron waren für immer verloren.

"Nach der russischen Besatzung, nach dem 55er-Jahr, haben sich alle Richtung Westen orientiert", meint der Weinbauer. Man wollte am Wirtschaftswunder Deutschlands mitnaschen, setzte französische Rebsorten wie Chardonnay und Sauvignon Blanc und auch deutschen Riesling. "Der Furmint hat in der Diaspora überlebt. Ein paar einzelne Stöcke im gemischten Satz, gemeinsam mit Welschriesling und Müller-Thurgau, und in der Rebschule der Familie Seiler", erläutert Wenzel. "Die Sorte ist einfach in Vergessenheit geraten", fügt er bedauernd hinzu.

Das Comeback

Doch schön langsam rüstet sich dieser bedeutendste Weißwein der Donaumonarchie zum Comeback. Nicht mit Pauken und Trompeten, aber mit dem Hirtenblasinstrument Tárogató holte Wenzels Vater Robert 1984 in einer Schmuggelaktion die ersten Edelreiser über den Eisernen Vorhang. Als Ablenkungsmanöver kurbelte Opa Wenzel das Autofenster runter und spielte den Grenzsoldaten ein paar ungarische Volkslieder, erzählt Michi Wenzel heute. Er ist dankbar über diese Aktion. Die Sorte liegt ihm spürbar am Herzen.

In Österreich sind momentan etwa 30 Hektar mit Furmint bestockt. Das ist bei bundesweit insgesamt 45.000 Hektar eine homöopathische Dosis. Aber es werden mehr und mehr. In den vergangenen Jahren wurde viel ausgesetzt.

Die Inspiration

Judith Beck war inspiriert von Wenzels Weinen. "Als wir im Frühling 2016 die Edelreiser aus Rust geholt haben, haben wir lange über die Sorte gequatscht", erinnert sich die Winzerin aus Gols. 2019 erntete sie ihre ersten Furmint-Trauben. "Schon im August! Ich war verwundert, dass er über 13 Volumsprozent hat. Das hätte ich nie für möglich gehalten. Das ist super und herausfordernd", meint sie. "Er hat eine straffe Säurestruktur, aber mit gewissem Körper, weil er das ist und sein will. Ich denke an Feurigkeit als Gegenpart zur Säure. Das macht ihn spannend für mich, denn was wir an Weißwein sonst noch haben, ist entweder leicht und frisch oder reif. Aber die Reiferen haben keine Säure mehr." Sie nennt ihren Wein, auch auf die Historie und das heutige Nachbarland Ungarn anspielend, einen "Grenzgänger". "Die Tante meines Vaters ist vor ein paar Jahren mit 107 gestorben. Die konnte noch die ungarische Hymne singen und hat in der Schule die Sprache gelernt", sagt die Golser Winzerin begeistert.

Winzerin Judith Beck schätzt am Furmint die Säurestruktur.
Lukas Ilgner, Sonja Priller

Furmint ist eine sogenannte autochthone Rebsorte. Das heißt, sie ist nahezu ausschließlich in einem bestimmten Gebiet entstanden. Dadurch passt sie ideal zum Standort. Das Terroir, also auch Mikroklima, den Boden und alle anderen Begebenheiten, kann Furmint wunderbar widerspiegeln – seien es die steinigen Braunerdeböden im Ruster Satz oder der Gneis-Glimmerschiefer in der Ried Vogelsang, wo man mit ein bisschen Glück Quarzgesteinsbrocken zwischen den Stöcken findet.

Kostprobe

Bei Wenzel kann man im Glas vergleichen: "Vogelklang" hat Weingartenpfirsich, Grapefruit, Bittermandel, Ingwer, eine unaufdringliche Salzigkeit und einen schlankeren Körper als "Garten Eden", der weniger kühl daherkommt und an gelbfleischigen Pfirsich denken lässt, etwas harzig und fülliger schmeckt, was wohl am teilweisen Ausbau in der Amphore liegt.

Winzer Michael Wenzel aus Rust nimmt eine Pionierrolle beim Furmint-Anbau ein. Hier sein "Autark – Furmint Vogelklang 2019".
Lukas Ilgner, Sonja Priller

"Der Furmint ist eine Sorte, die sich zurücknimmt und damit viele Möglichkeiten bietet", findet Franz Weninger. Er hat seinen Hof im mittelburgenländischen Horitschon, aber auch zwölf Hektar in Südungarn und 25 Hektar im grenznahen Sopron-Balf. Dort, in der Riede Steiner, quasi im südwestlichsten Winkel des Neusiedler Sees auf ungarischer Seite, wurzelt sein Furmint. "In den Annalen von Ödenburg wurde dieser Weingarten 1680 zum besten und teuersten Weinberg von Westungarn, wie das Burgenland geheißen hat, klassifiziert", sagt er.

Judith Beck erhofft sich auch in Hinblick auf den Klimawandel Positives: "Ich verspreche mir, dass er an das heiße Klima angepasst ist und trotzdem die Säure liefert", sagt sie. Ob das aufgeht? Nicht umsonst ist Furmint ideal für die Süßweinproduktion. Er hält die markante Säure, selbst wenn er überreif ist und viel Zucker eingelagert hat. Zeitig gelesen, würde er ebenfalls einen guten Sektgrundwein ergeben. Die frische Säure macht ihn zum idealen Speisenbegleiter – etwa zu Letscho, Krautfleckerln oder Gulasch. Er drängt sich nicht in den Vordergrund, aber hält eine markante Feurigkeit entgegen.

Eines lässt sich jetzt schon sagen: Die neue Erzählung von Furmint steht erst am Anfang, aber sie nimmt schön langsam Schwung. (Juliane Fischer, 2.8.2021)