Bild nicht mehr verfügbar.

Valentin Inzko, Hoher Repräsentant der internationalen Staatengemeinschaft in Bosnien-Herzegowina

Foto: AP

Es geschieht selten, dass ein Diplomat seine Amtszeit in einer hochrangigen internationalen Position mit einem Knalleffekt beendet. Das hat aber der österreichische Diplomat Valentin Inzko (72) eine Woche vor dem Abschluss seiner Tätigkeit nach zwölf Jahren als Hoher Repräsentant der internationalen Staatengemeinschaft in Bosnien-Herzegowina mit seinem Erlass über die strafrechtliche Ahndung der Leugnung und der Verherrlichung von Völkermorden in Bosnien getan – und damit massives internationales Echo hervorgerufen.

Der von den Garantiemächten des 1995 geschlossenen Friedensvertrags von Dayton bestellte Hohe Repräsentant darf aufgrund seiner Vollmachten Gesetze erlassen und gewählte Amtsträger absetzen. Das neue Dekret Inzkos bestimmt, dass, wer den Völkermord, begangen während der Jugoslawienkriege, "billigt, leugnet oder rechtfertigt", mit Haftstrafen von bis zu fünf Jahren verurteilt werden soll. Auch wer verurteilte Kriegsverbrecher Ehrungen erweist, kann zu drei Jahren Haft verurteilt werden.

Verharmloster Völkermord

Einer der Hauptgründe für die unsichere Zukunft des künstlichen Staatsgebildes mit 3,3 Millionen Einwohnern, bestehend aus der bosniakisch-kroatischen Föderation und der Republika Srpska (51 Prozent Bosniaken, 30 Prozent Serben und 15 Prozent Kroaten), ist infolge der fehlenden Aufarbeitung des Kriegsverbrechens der noch immer schwelende Hass zwischen den Volksgruppen. Obwohl das Gesetz allgemein formuliert wird, geht es im Grunde um den von serbischer Seite, auch von Milorad Dodik, dem serbischen Mitglied des dreiköpfigen bosnischen Staatspräsidiums, noch immer verharmlosten Völkermord 1995 in Srebrenica, bei dem serbische Truppen über 8000 Muslime ermordeten.

Der neue Hohe Repräsentant, der frühere deutsche Landwirtschaftsminister Christian Schmidt, stellte sich hinter die Entscheidung seines Vorgängers. Das Parlament des serbischen Landesteils beschloss allerdings bereits am Freitag, dass das Genozid-Gesetz auf diesem Territorium ungültig sei. Die politische Führung des serbischen Landesteils will die Arbeit der gemeinsamen staatlichen Institutionen boykottieren.

Orden für verurteilte Kriegsverbrecher

Die öffentliche Haltung der Spitzenpolitiker samt der Ordensverleihung durch das Parlament in der Republika Srpska an verurteilte Kriegsverbrecher ist nicht nur für die direkt betroffenen Bosniaken, sondern auch für jeden Kenner der bosnischen Tragödie unerträglich. Die Hauptverantwortlichen für das schlimmste in Europa begangene Kriegsverbrechen seit dem Zweiten Weltkrieg, Radovan Karadžić und General Ratko Mladić, wurden 2019 beziehungsweise im Juni dieses Jahres vom Haager Tribunal rechtskräftig zu lebenslangen Haftstrafen verurteilt.

Man kann dem Spitzendiplomaten, dem profunden sprachkundigen Kenner, dem Kärntner Slowenen Valentin Inzko glauben, dass es sich für ihn bei dem Beschluss, das brisante Gesetz zu erlassen, um eine "Gewissensentscheidung" gehandelt habe. Die offizielle internationale Reaktion war, wie abzusehen war, zurückhaltend. Inzkos mutiger Vorstoß könnte sich trotzdem als ein Schlag gegen die zynische Heuchelei erweisen und auch eine überfällige Wende bei der Aufarbeitung der Balkangeschichte einleiten. (Paul Lendvai, 2.8.2021)