Messungen der atmosphärischen Methankonzentration im Bereich der Taimyr-Halbinsel im arktischen Russland verursachen bei Forschenden Sorgenfalten: schlechte Nachrichten zur Klimakrise oder unzureichende Datenauswertung?
Foto: imago images/ITAR-TASS/Denis Kozhevnikov

Unter den Top Fünf der unterschätzten, aber gravierenden Umweltgefahren befindet sich laut UN-Umweltprogramm der tauende Permafrost. Seine Verbreitung ist zwar eingeschränkt, doch sind Permafrostböden einmal abgetaut, hat das verheerende globale Konsequenzen: Forschende gehen davon aus, dass ein Drittel des globalen Kohlenstoffs allein in den Böden der Arktis gespeichert ist. Wenn auch nur ein Teil davon in Form von Kohlenstoffdioxid (CO2) und Methan (CH4) freigesetzt wird, sorgt das für eine beträchtliche Verstärkung des Treibhauseffekts.

Damit einher gehen unumkehrbare Klimaveränderungen, weshalb in diesem Zusammenhang oft vom Erreichen eines Kipppunkts die Rede ist. Mancherorts sind diese Böden seit vielen tausend Jahren gefroren und haben hier abgestorbene Biomasse gespeichert. Taut sie auf, wird sie von Bakterien zersetzt, dabei werden Treibhausgase frei. Daneben kann Methan auch in fester Form im Gestein stecken, sich bei Erwärmung lösen und durch Risse frei werden. Erwärmt sich die Gegend, wachsen zwar auch vermehrt neue Pflanzen, die CO2 binden. Aber das wiegt die enormen freiwerdenden Gasmengen nicht auf.

Permafrost lange im Hintergrund

In Sachen Methan ist die durchschnittliche Konzentration in der Atmosphäre von vorindustriellen 694 Parts per Billion (Teilchen pro Milliarde Teilchen; ppb) auf 1.888 ppb (2021) angestiegen. Davon entfallen etwa 40 Prozent auf natürliche Prozesse wie vulkanische Aktivitäten und 60 Prozent auf menschengemachte. Bei fossilen Energiequellen und beim Verbrennen von Biomasse etwa wird Methan frei. Messungen deuten darauf hin, dass uns bisher massive Mengen an freigewordenem Methan aus Permafrostböden erspart geblieben sind; dies dürfte sich aber in Zukunft dramatisch ändern.

Obwohl es sich bei Permafrostböden um ein wichtiges Element im Zuge der Klimakrise handelt, wurden sie lange Zeit kaum in Klimamodellen berücksichtigt. Noch immer gibt es viele Aspekte, die besser untersucht werden müssten – auch wenn bereits klar ist, dass wir für gute menschliche Lebensbedingungen dringend den weltweiten CO2-Ausstoß verringern müssen. Zum Erkenntnisgewinn soll auch eine aktuelle Studie des Geologen Nikolaus Froitzheim von der Universität Bonn beitragen. Die Arbeit, die er mit zwei Kollegen in der Fachzeitschrift "PNAS" veröffentlichte, sorgt allerdings schon gleich nach ihrem Erscheinen für Überraschung unter Wissenschaftern.

Unerwartete Ergebnisse

Worum geht es bei der Studie? Kurz gesagt betrachtete das Forschungsteam anhand von bisherigen Satellitendaten aus den Jahren 2020 und 2021 die monatlichen atmosphärischen Konzentrationen des Treibhausgases Methan. Ihr Fokus lag dabei auf Nordsibirien: Während der extremen Hitzewelle 2020 wurde auf der Taimyr-Halbinsel die weltweit größte Oberflächentemperatur-Anomalie gemessen. Das heißt: Hier war es sechs Grad wärmer als im Mittel der Jahre 1979 bis 2000. Den aktuellen Messungen zufolge wurden hier große Mengen an Methan emittiert – im April 2021 waren es großflächig um die 1.900 ppb.

Das Team wurde aber auch auf besonders viel Methan in zwei Regionen aufmerksam. Hier besteht der Grund vor allem aus Gestein, genauer: Karbonat- oder Kalkstein, bei dem es sich ebenfalls um eine chemische Verbindung mit Kohlenstoff handelt. Es gibt dort also nur wenige, dünne Böden, die organisches Material einschließen. Daraus folgern die Forscher, dass an diesen Stellen keine Bakterien im tauenden Permafrost Methan produzieren, sondern dass eine andere Methanquelle dahinterstecken muss.

Neuer Faktor: Methan aus Gesteinsschichten

Dabei könnte es sich um natürliche Gasvorkommen, sogenanntes thermogenes Methan, handeln. Thermogenes Methan entsteht, wenn in tiefen Gesteinsschichten unter hohem Druck und hoher Temperatur Biomasse chemisch verändert wird. Die erhöhten Methankonzentrationen hielten bis ins Frühjahr 2021 an, als die Temperaturen nach der Hitzewelle schon längst wieder zurückgegangen waren. Das sehen die Wissenschafter als Hinweis für einen thermogenen Ursprung des Gases.

Methankonzentrationen in der Atmosphäre rund um die Taimyr-Halbinsel in Nordrussland. Großflächig hohe Methanwerte sind für den 10. April 2021 zu erkennen, außerdem fallen zwei längliche Bereiche mit höherer Konzentration auf (siehe Pfeile in der zweiten Zeile, 29.8.2020).
Bild: Froitzheim et al./PNAS/pulse.ghgsat.com

Thermogenes Methan spielte in bisherigen Berechnungen kaum eine Rolle und könnte durch diese Studie tatsächlich an Relevanz gewinnen. Außerdem lieferten bisherige Messungen in der Arktis keine Hinweise darauf, dass bereits große Methanmengen aus Permafrostböden frei werden. Deshalb könnten die aktuellen Messungen auf eine bedeutende Verschlimmerung der Klimakrise hinweisen, sagt Hinrich Schaefer, Atmosphärenforscher am NIWA in Wellington, Neuseeland.

Er weist aber auch auf mögliche Probleme der Studie hin – denn die Methanmessungen sind abhängig von diversen Faktoren, und werden diese nicht berücksichtigt, können Rohdaten auch fehlinterpretiert werden: "Einflüsse wie örtliche Geologie und Mikroklima könnten die Ergebnisse verfälschen." So verteilen etwa Winde mitunter Luftmassen mit erhöhtem Methangehalt, auch Luftfeuchtigkeit und Sonnenlichtreflektion beeinflussen Atmosphärenmessungen. Abklären müsste man dies über Messungen in Bodennähe und über Berechnungen im Rahmen eines atmosphärischen Transportmodells.

Skepsis gegenüber tatsächlichen Emissionen

Auch im deutschen Potsdam, wo sich an mehreren Instituten Kompetenz in Klimafragen sammelt, weisen Forscher auf offene Fragen hin, die die Studie nicht beantwortet. So kritisiert etwa Guido Grosse, Leiter der Sektion Permafrostforschung am Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung (AWI), dass keine Vergleichsdaten zur Methankonzentration aus früheren Jahren dargestellt wurden und damit unklar bleibt, ob es sich lokal überhaupt um eine Ausnahmesituation handelte.

Zudem habe man die Destabilisierung der festen Verbindungen, die Methan frei werden lassen, im Gestein nicht modelliert, sondern nur "spekuliert", sagt Grosse, und: "Warum sind die vermuteten beziehungsweise gemessenen Emissionen im Winter von Dezember bis Februar besonders hoch? Warum hat der April 2021 die höchsten Emissionen?" Diese Messdaten werden von den Autoren nicht erklärt. Auch sein Sektionskollege Thomas Schneider von Deimling befindet die Emissionen im Frühjahr nach der Hitzewelle, nachdem der Boden wieder vollständig gefroren sein müsste, für "überraschend": "Ich frage mich, wie gut die Daten die tatsächlichen Emissionen wiedergeben. Mir scheint das Frühjahrsbild viel entscheidender, da dort die mit Abstand größten Emissionen – da großflächig verteilt – zu sehen sind."

Großes Problem auf dem Schirm

"Wenn jedoch alles so stimmt, wie es die Studie präsentiert, ist es durchaus ein umfangreicheres Problem, das noch nicht auf dem Schirm war", sagt Grosse. Er wies bereits 2012 darauf hin, dass Permafrost gewissermaßen ein Deckel für darunterliegende Gaslager sein könne. Dieser Deckel wird immer löchriger, wenn Permafrost taut.

Auch Dieter Gerten, Forschungsgruppenleiter am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (Pik), sieht einen beunruhigenden Fortschritt in den Daten, die auf bereits freiwerdende große Methanmengen hindeuten: "Wenn sich die These bewahrheitet, wäre dies eine alarmierende, kurzfristige Entwicklung zusätzlich zu der bei fortwährendem Klimawandel zu erwartenden langfristigen, über Jahrhunderte währenden Freisetzung von Kohlendioxid und Methan aus den auftauenden Permafrostböden." Wir dürfen also mit Sorge auf Nachfolgestudien blicken, die die Thematik ausführlicher unter die Lupe nehmen. (Julia Sica, 3.8.2021)