Vielleicht kein komplexes Kunstwerk, aber zumindest ein dekorativer Ausdruck von Kreativität: die Malereien in der andalusischen Cueva de Ardales.

Foto: João Zilhão/ICREA

Das im 19. Jahrhundert geprägte Bild vom primitiven und unkultivierten Neandertaler ist wissenschaftlich längst überholt. Genetische Analysen und archäologische Funde zeigen, dass unsere ausgestorbenen nächsten Verwandten dem modernen Menschen in vielerlei Hinsicht gar nicht so unähnlich waren: Sie bauten Werkzeuge und Waffen, nutzten Heilpflanzen, feierten Feste und bestatteten ihre Toten. Und sie waren, anders als lange angenommen, auch künstlerisch tätig. Das bestätigt nun eine neue Untersuchung einmal mehr: Wie Forscher im Fachblatt "PNAS" berichten, ist die Bemalung von Stalaktiten in einer Höhle in Südspanien eindeutig Neandertalern zuzuordnen.

Die Vermutung, dass Neandertaler die Urheber der Höhlenkunst in Ardales bei Málaga sein könnten, war bereits 2018 erstmals geäußert worden – und hatte für erhebliche Diskussionen gesorgt. Untersuchungen der Farbschichten auf den Gesteinsformen hatten ihr Alter auf mehr als 64.800 Jahre datiert. Der moderne Mensch war da noch nicht bis Europa gekommen und kam daher als Urheber nicht infrage.

Wiederholte Pigmentierung

Eine weitere wissenschaftliche Veröffentlichung führte später allerdings an, dass ein natürlicher Ursprung der Farbschichten nicht auszuschließen sei. Untersuchungen hätten diese Möglichkeit nun widerlegt, sagte Francesco d'Errico, einer der Autoren der neuen Studie. "Es handelt sich sehr wohl um Ocker-Farbpigmente, die in die Grotte gebracht wurden."

Die Analysen hätten zudem gezeigt, dass die bemalten Stalaktiten verschiedene Farbpigmente aufweisen, die zu unterschiedlichen Zeitpunkten aufgetragen wurden. Dies "unterstützt die Hypothese, dass die Neandertaler mehrmals kamen, über mehrere Tausend Jahre, um diese Höhle mit Pigmenten zu markieren", sagt d'Errico, der an der Universität von Bordeaux forscht.

Symbolisches Handeln

Mit komplexen Höhlenmalereien des modernen Menschen, die an zahlreichen Orten besonders im heutigen Frankreich gefunden wurden, ist die Stalaktiten-Kunst der Neandertaler allerdings nur eingeschränkt vergleichbar "Das ist vielleicht nicht exakt das, was man Kunst nennen kann", räumte der Forscher ein. Aber es handle sich auf jeden Fall um eine Art "symbolisches Handeln".

Erst vor wenigen Wochen hatten Forschungsergebnisse von Wissenschaftern der Universität Göttingen für Aufsehen gesorgt: Sie waren in der Einhornhöhle im deutschen Harz auf den 51.000 Jahre alten Fußknochen eines Riesenhirschs gestoßen, der offenbar von Neandertalern verziert worden war. Der Fußknochen war zunächst gekocht worden, um das Muster anschließend mit Steingeräten in die aufgeweichte Knochenoberfläche zu schnitzen, berichteten die Archäologen im Fachblatt "Nature Ecology & Evolution".

Schmuckobjekte der Neandertaler waren bis dahin nie auf älter als etwa 40.000 Jahre datiert worden. Von vielen Wissenschaftern wurden sie deshalb als Nachahmungen angesehen, denn zu dieser Zeit hatte sich bereits der moderne Mensch in Teilen Europas ausgebreitet. Doch offenbar besaßen die Neandertaler durchaus eine eigenständige kreative Schaffenskraft. (red, APA, 3.8.2021)