Einzelne Einvernahmen per Videochat sind schon jetzt möglich. Künftig könnten ganze Zivilprozesse digital abgehalten werden.

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Es gibt sie, die Beispiele für nachhaltige Veränderungen aufgrund der Corona-Krise: Die im Zuge der Lockdowns geschaffene Möglichkeit, Gerichtsverhandlungen digital durchzuführen, soll künftig erhalten bleiben. Das geht aus einem Gesetzesentwurf hervor, den Justizministerin Alma Zadić (Grüne) kürzlich präsentierte. Die Novelle des Zivilprozessrechts, die ab sofort sechs Wochen zur Begutachtung aufliegt, soll zudem den elektronischen Akt weiter vorantreiben. Geplant ist auch eine Reduktion der Gerichtsgebühren bei Vergleichen.

Ganze Prozesse online

Wer bisher etwa als Kärntner einen säumigen Verkäufer in Niederösterreich klagte, musste hunderte Kilometer zur Verhandlung anreisen. Die aufgrund der Corona-Krise per Videochat durchgeführten Prozesse hatten einen positiven Nebeneffekt: Sie sparten allen Beteiligten Zeit. Richter und Anwälte wünschten sich daher die Beibehaltung der Ausnahmeregelung. Mit der geplanten Gesetzesnovelle für Zivilverfahren kommt die Justizministerin diesem Wunsch nun nach.

Schon bisher war es möglich, einzelne Befragungen online durchzuführen – nicht aber ganze Verhandlungen. Künftig können Richterinnen und Richter Zivilprozesse per Videochat durchführen, wenn dies "tunlich" ist und die technischen Voraussetzungen gegeben sind. Die Verfahrensparteien müssen zwar zustimmen, deren Einverständnis gilt allerdings schon dann als erteilt, wenn sie innerhalb einer vom Gericht festgesetzten Frist nicht widersprechen.

Derzeit sind die Videoverhandlungen nur für den Bereich des streitigen Zivilrechts geplant – zum Beispiel für Schadenersatzklagen oder Gewährleistungsansprüche. Strafprozesse oder familienrechtliche Angelegenheiten bleiben damit ausgeklammert. Das Grundprinzip der Volksöffentlichkeit lässt sich auch bei digitalen Prozessen verwirklichen. Möglich wäre etwa, dass die Verhandlungen in einem öffentlich zugänglichen Gerichtssaal übertragen werden.

Elektronischer Akt im Vormarsch

Auch in Sachen elektronischer Akt dürfte die Pandemie Impulse gesetzt haben: Unter der Initiative "Justiz 3.0" arbeitet das Justizministerium bereits seit einigen Jahren an der Digitalisierung der Aktenführung. Im Dezember 2016 war ein Pilotbetrieb gestartet, an dem sich zunächst nur wenige Gerichte beteiligten. Ziel war es, spätestens 2023 alle Zivilverfahren digital zu führen.

Die Erfahrungen mit Corona haben das Tempo nun erhöht: Laut Justizministerium führen mittlerweile rund 43 Prozent der Gerichte digitale Akten im Zivilverfahren, auf Ebene der Landesgerichte alle. Die Novelle schafft weitere rechtliche Rahmenbedingungen für die Umstellung. So soll die Einbringung von physischen Akten minimiert werden, um eine möglichst vollständige digitale Aktenführung zu gewährleisten.

Gebührenreduktion

Zadić kündigte an, Zivilverfahren nicht nur "digitaler", sondern auch "kostengünstiger" zu machen. Hier dreht der Gesetzesentwurf allerdings nur an kleinen Schrauben: So sollen Kopiergebühren nicht mehr generell nach Seiten bemessen werden. Bei elektronischen Kopien wird vielmehr das Datenvolumen ausschlaggebend sein. Für Abfragen im Zuge der digitalen Akteneinsicht will die Ministerin gänzlich auf Gebühren verzichten.

Vorgesehen ist zudem die Halbierung der Kosten für bestimmte gerichtliche Vergleiche. Schon jetzt fällt für Vergleiche, die bei Gericht protokolliert werden, nur die halbe Gebühr an. Künftig soll das auch dann gelten, wenn sich die Verfahrensparteien in Mediationsverfahren oder Verbraucherschlichtungsverfahren einig werden. Belohnt wird zudem, wer seine Klage bis zum Ende des ersten Prozesstermins zurückzieht. Auch hier soll nur noch die Hälfte der Gerichtsgebühr fällig werden.

Entlastung der Sachverständigen

Um Verfahrensverzögerungen zu vermeiden, sollen Gerichte laut Entwurf die Auslastung der von ihnen bestellten Sachverständigen überprüfen. Richterinnen und Richter neigen dazu, immer wieder dieselben Gutachter zu beauftragen. Ergibt sich, dass ein Sachverständiger in mehr als zehn Verfahren gleichzeitig aktiv ist, darf er bis auf Ausnahmefälle künftig nicht weiter beauftragt werden. Gutachter, die bisher selten zum Zug kamen, wird das freuen. (Jakob Pflügl, 3.8.2021)