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Um ihn "zu ärgern", soll eine 55-jährige Angeklagte einem Kellner mehrmals Pizzen nach Hause geschickt haben. Das ist aber der harmloseste Vorwurf in dem Prozess um beharrliche Verfolgung.

Foto: Reuters / LUCY NICHOLSON

Wien – Die Geschichte von Frau K., über die Christina Salzborn richten muss, ist eine Geschichte voller Verlierer. Die 55-jährige Pensionistin ist angeklagt, den zwei Jahre älteren Kellner eines bekannten Wiener Innenstadt-Lokals beharrlich zu verfolgen. Obwohl sie aus demselben Grund bereits im vergangenen Sommer zu sieben Monaten bedingter Haft verurteilt wurde. K. ist der Meinung, dass sie nur wenig falsch macht.

Im Jahr 2019 starben nach ihren Angaben innerhalb von drei Monaten Vater, Mutter und Lebensgefährte. Mit Letzterem war sie Stammgast in dem Café, nach seinem Ableben ging sie alleine hin. "Ich hatte mein eigenes Taferl auf dem Tisch", verrät sie über ihren Status. Laut Frau K. hat sich der Kellner um sie gekümmert. "Er wurde für mich ein Synonym für Hilfe. Er war wie ein Bruder", behauptet sie.

Verurteilung half nur kurz

Der sah das nicht so – und fühlte sich von K. beharrlich verfolgt. Sie klebte Briefe an seine Tür, hinterließ rund um seinen Wohnort Flugzettel an Windschutzscheiben von geparkten Autos, tauchte immer wieder in seiner Nähe auf. Nach der Verurteilung K.s im vergangenen Sommer wurde es kurzzeitig besser, dann begann die Frau, die Anordnungen des Richters auszureizen.

Eigentlich durfte sie sich dem Kellner nicht mehr als 50 Meter nähern – nach seiner Darstellung und der eines Kollegen hinderte das Frau K. nicht, stundenlang auf Bänken knapp außerhalb des Radius zu sitzen. Damit nicht genug: Sie bestellte Pizzen und ließ sie an seine Wohnung liefern. Einmal habe sie das gemacht, gibt die Angeklagte zu. "Ich wollte ihn ein bisserl ärgern", sagt sie. "Ein teurer Spaß", kommentiert die Richterin das angesichts der Tatsache, dass K. nun in Untersuchungshaft sitzt.

Rettung und Polizei wollten Tür aufbrechen

Zwei Mal soll die Angeklagte auch anonym den Notruf alarmiert haben, dass in der Wohnung des Kellners eine bewusstlose Person liege. Beim ersten Mal kam das Opfer gerade heim, als Rettung und Polizei seine Wohnungstür aufbrechen wollten. Beim zweiten Mal wurde er von den Einsatzkräften dann bereits im Vorfeld nach dem Notruf kontaktiert.

Der Kellner ist überzeugt, dass K. ihn beobachtet, da sie wisse, wann er in der Arbeit oder daheim sei. Die von Nikolaus Rast vertretene Angeklagte gesteht auch unumwunden ein, dass sie den Mann von Detektiven beobachten ließ. Sie fühlt sich von ihm nämlich verleumdet – sie wohne im selben Bezirk wie er, und die Gegend rund um seinen Arbeitsplatz erinnere sie an ihren verstorbenen Lebensgefährten. Daher habe sie ein Recht, dort zu sein: "Ich lasse mir das nicht nehmen! Ich bin österreichische Staatsbürgerin und zahle Steuern!", belehrt sie Salzborn. K.s häufiger Aufenthalt nahe der Wohnung des Kellners liege auch daran, dass sie dort mit der Volkshochschule zu tun habe. "Ich habe ein Buch verfasst. Christliche Lyrik", verrät sie.

Wie sie überhaupt im Laufe des Verfahrens immer agitierter wird. Dass der Mann Angst vor ihr habe, versteht K. nicht. "Ich bin eine ältere, hatscherte Frau", stellt sie fest. "Na ja, Sie sind genau XX (aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes fehlt die Zahl, Anm.) Jahre älter als ich", kontert die Richterin. Als der Kellner in ihrer Abwesenheit einvernommen wird, beginnt sie im Nebenzimmer zu schreien, worauf Salzborn die Tür schließt.

Kellner mittlerweile in Behandlung

Der Kellner schildert, wie die Beharrlichkeit sein Leben beeinträchtigt: "Ich fahre nicht mehr mit dem Bus in die Arbeit, weil sie dann immer neben mir gestanden ist. Ich gehe nicht mehr in meine Stammlokale", erzählt der 57-Jährige. Sein Kollege beschreibt, wie sich der Gestalkte verändert hat: "Er war ein geselliger Mensch. Mittlerweile machen wir uns Sorgen, wenn wir ihn einen Tag nicht erreichen." Das Opfer ist mittlerweile in Behandlung und fragt sich noch immer, warum er 2019 Frau K., als sie weinend im Lokal saß, überhaupt aufmuntern wollte.

Da sich die Angeklagte nach ihrer Rückkehr in den Saal nicht mehr beruhigt und Richterin und Staatsanwalt ständig unterbricht, bitten Verteidiger Rast und K.s Erwachsenenvertreter um eine kurze Unterbrechung, um sich mit der Mandantin zu besprechen. Die Unterbrechung wächst sich auf zehn Minuten aus, am Ende stellt Rast den Antrag, K. psychiatrisch auf ihre Zurechnungsfähigkeit begutachten zu lassen. Salzborn gibt dem Wunsch statt und vertagt auf unbestimmte Zeit. (Michael Möseneder, 3.8.2021)