Sogar in Schutzgebieten gehen rare Arten zurück. Das könnte daran liegen, dass Viehherden seltener über große Gebiete hinweg unterwegs sind und so Samen verbreiten können.

Foto: Imago / Arnulf Hettrich

Wann haben Sie zuletzt eine richtig bunte Blumenwiese gesehen? Vermutlich ist es eine Weile her – denn die Artenvielfalt unserer Wiesen ist seit Jahrzehnten stark rückläufig, dementsprechend selten wird der farbenfrohe An- und Ausblick.

Das hat schwerwiegende Folgen für Tiere, die diese Pflanzen als Nahrung oder zur Fortpflanzung brauchen: Zwischen 1990 und 2011 ist etwa die Zahl der graslandbewohnenden Schmetterlinge um die Hälfte zurückgegangen. Bei Wildbienen und Nachtschmetterlingen sieht es nicht besser aus.

Um diesem Schwund entgegenzuarbeiten, soll noch in diesem Jahr die Biodiversitätsstrategie 2030 beschlossen werden. Die Landwirtschaft spielt dabei eine große Rolle; welche konkreten Maßnahmen politisch abgesegnet werden, ist noch unklar.

Vorbilder im Osten Europas

Einen Beitrag zu der Diskussion wollen auch Forscher der Universität Graz liefern: Sie suchen nach Möglichkeiten, das österreichische Grünland wieder artenreicher zu machen. Vorbilder finden sie dabei im Osten Europas, wo die Uhren vielerorts noch anders ticken – zum Wohl von Mensch und Tier.

Noch vor rund 30 Jahren wurde das Grünland in vielen Gebieten Österreichs traditionell bewirtschaftet: Beweidung und Wiesenheu ernährten das Vieh, dessen Ausscheidungen wiederum als Dünger dienten. Dazu wurden pro Hof maximal zwei Schweine gehalten, die zu fressen bekamen, was die Menschen übrig ließen.

Doch um das Einkommen für einen zeitgemäßen Lebensstandard zu lukrieren, setzen Landwirte heute oft auf Schweinemast oder reine Milchproduktion. Für beides sind leistungsfähige Tierrassen und große Mengen hochwertigen Futters nötig, um viel Fleisch oder Milch liefern zu können. In aller Regel ist das Getreide.

Kein Mittelmaß bei der Mahd

Dadurch wird das Grünland doppelt unter Druck gesetzt. Wo es für die Grünfutterproduktion noch gebraucht wird, werden die Flächen heute oft dreimal statt nur ein- oder zweimal pro Jahr gemäht. Denn je früher geschnitten wird, desto höher ist der Nährwert der Pflanzen.

Die frühe Mahd führt allerdings dazu, dass die meisten Wiesenpflanzen schon während der Blüte gekappt werden. Sie kommen nicht mehr dazu, Samen zu produzieren, was ihre Zahl auf Dauer stark reduziert.

Andererseits wurde und wird in vielen Gebieten die Beweidung oder Mahd völlig aufgegeben, was ebenfalls negative Konsequenzen für die Artenvielfalt hat: Auf diesen Flächen kommt über kurz oder lang wieder Wald auf, damit verlieren viele Pflanzenarten der offenen Landschaft ihren Lebensraum.

Pfleglicher Umgang

Doch die folgende Artenreduktion bleibt langfristig nicht auf landwirtschaftliche Flächen beschränkt. Untersuchungen in mehr als 60 Naturschutzgebieten Deutschlands im Jahr 2017 ergaben einen Rückgang der dortigen Fluginsekten um 75 Prozent innerhalb von 27 Jahren.

Ursache dafür ist vor allem das Fehlen vieler als Nahrung oder Brutplatz dienender Pflanzenarten in den umliegenden Flächen. Das Problem besteht im Großteil Europas; ein pfleglicherer Umgang mit Grünland wird vor allem im Osten noch praktiziert.

Der Botaniker Martin Magnes vom Institut für Biologie der Universität Graz und Kollegen arbeiten seit vier Jahren an einem Projekt mit, das die Botanikerin Monika Janišová von der Slowakischen Akademie der Wissenschaften ins Leben gerufen hat. Dabei untersuchen die Forscher gemeinsam mit lokalen Botanikern ausgesuchte Grünlandflächen in verschiedenen Teilen der Karpaten, die noch traditionell bewirtschaftet werden.

Beweiden statt mähen

Dazu gehört, erst nach dem Fruchten der Hauptpflanzenarten zu mähen. Als Dünger wird Festmist verwendet. Im Unterschied zur Gülle bleiben darin die meisten Samen keimfähig und gelangen mit dem Mist wieder auf die Fläche. Positive Effekte hat auch die zeitweise Beweidung von Wiesen, die sonst gemäht werden: Der Tritt der Weidetiere schafft den offenen Boden, den viele Arten zum Keimen brauchen.

Weidetiere können verschiedene positive Effekte auf Grünlandflächen haben.
Foto: APA / dpa / Sebastian Gollnow

Die beste Methode ist laut Magnes die Hütehaltung mit Hirten: "Der Hirte erkennt am Zustand einer Fläche, ob sie schon für eine Beweidung geeignet ist." Außerdem bringe er die Herde morgens, wenn die Tiere sehr hungrig sind, auf die eher schlechten Weiden: So werden vermehrt Pflanzen vertilgt, die man ohnehin loswerden müsse. "Das machen Hirten in ganz Europa so – von den Pyrenäen bis zu den Karpaten und den Balkangebirgen."

Entspanntere Landwirte

Daneben sind die Tiere bei Hütehaltung in einem viel größeren Gebiet unterwegs als auf stationären Weiden. So verbreiten sie im Fell und über ihre Exkremente Samen diverser Pflanzenarten. Das Fehlen dieser Verbreitung dürfte dafür sorgen, dass in vielen Schutzgebieten trotz geeigneter Nutzung seltene Arten zurückgehen.

Um zu sehen, welche traditionellen Methoden sich besonders gut auf die Pflanzenvielfalt des Grünlands auswirken, erheben die Grazer Botaniker auf ausgesuchten Flächen Vegetation sowie Details zur Bewirtschaftung. Unterstützt werden sie von Ethnografen, die sprachkundig und mit den regionalen Verhältnissen vertraut sind.

Eines ist auch für die Botaniker auffällig: "Die traditionell wirtschaftenden Bauern sind deutlich entspannter", sagt Magnes. "Viele Intensivlandwirte bei uns haben die Freude an ihrer Arbeit verloren und würden, denke ich, gerne naturnäher arbeiten." Dafür müsse der Einkommensverlust ausgeglichen werden – durch höhere Produktpreise oder im Zuge der Agrarförderung.

Maßnahmenkatalog

Die Ergebnisse der Erhebungen sollen in einen Maßnahmenkatalog zur Erhöhung der Biodiversität einfließen. Dass dieses "Rezeptbuch", wie Magnes es nennt, in naher Zukunft Einzug in die Landwirtschaft hält, ist unwahrscheinlich, wie er selbst zugibt.

Denkbar ist jedoch auch ein anderer Einsatzort: "Manche Naturschutzgebiete verlieren jährlich an ökologischem Wert, weil sie zu wenig genutzt – also beweidet oder gemäht – werden."

Das Karpatenprojekt soll noch heuer abgeschlossen werden. Allerdings planen Magnes und Janišová, die Untersuchungen in den Balkangebirgen fortzusetzen. Die rührigen Botaniker lassen sich nicht davon aufhalten, dass es heuer keine institutionellen Geldmittel mehr dafür gibt: Derzeit finanzieren sie die nötigen Reisen über Crowdfunding. (Susanne Strnadl, 4.8.2021)