Das Regime von Diktator Alexander Lukaschenko baut auf brutale Abschreckung.

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Eine schlimme Geschichte reicht nicht. Es muss gleich noch eine zweite geben, womöglich um abzulenken, vielleicht auch, um eine grausame Botschaft zu platzieren. Kaum einen Tag, nachdem der Fall der belarussischen (weißrussischen) Sprinterin Kristina Timanowskaja für Aufsehen gesorgt hatte, wurde am Dienstag der belarussische Aktivist Witali Schischow tot aufgefunden. Er war in seinem Kiewer Exil joggen, zuvor hatte er noch erwähnt, dass er sich verfolgt fühle, dass fremde Männer ihn auf komische Art in Gespräche verwickeln wollten. Er kam nicht mehr zurück, in der Nacht fand man ihn erhängt in einem Park. Die Polizei ermittelt auch wegen Mordes. Sie glaubt, sein Suizid könnte inszeniert worden sein.

Das Regime von Diktator Alexander Lukaschenko baut auf brutale Abschreckung. Das weiß man nicht erst seit der Entführung einer Ryanair-Maschine, um so des Dissidenten Roman Protassewitsch und seiner Freundin Sofia Sapega habhaft zu werden. Auch nicht erst, seit die beiden nach offensichtlicher Folter im Staats-TV vorgeführt wurden. Man weiß es seit vergangenem Sommer, als nach den Massenprotesten gegen die gefälschte Wiederwahl Lukaschenkos grausame Berichte aus belarussischen Haftanstalten bekannt wurden: Über Folter, Erniedrigung, Vergewaltigung – auch über Morde, die dort passiert sein sollen. Lukaschenko stellt die Brutalität in die Auslage, im Staats-TV wird Dissidenten offen mit dem Erhängen gedroht.

Systemverfall

Man kann das als Zeichen der Schwäche und des Systemverfalls interpretieren – so wie das Aktivist Artjom Shraibman in einem Beitrag tut, den das Portal Dekoder ins Deutsche übersetzt hat. Staatsorgane würden nur noch so handeln, dass die Rachsucht des Präsidenten befriedigt werde – nicht nach Interessen des Staates oder Kriterien rationaler Diktaturen.

Man kann es auch, und das ist kaum von der Hand zu weisen, als bewusste Strategie sehen. Niemand, der das System kritisiert – oder sei es auch nur in Person von Lauftrainern –, darf sich mehr sicher fühlen. Auch im Ausland nicht. Echte und imaginierte Feinde der Regierung müssen in jedem Augenblick über die eigene Schulter sehen.

Für die Europäische Union stellt sich die Frage, wie sie damit umgehen kann – zumal Lukaschenko unter dem Eindruck handelt, Narrenfreiheit zu genießen, weil er sich des Schutzes durch Moskau sicher ist.

Schutz anbieten

Es ist sicher richtig und ehrenhaft, Verfolgten nun Schutz anzubieten, so wie das Polen und die Ukraine vielfach schon getan haben – und so wie es viele Länder Timanowskaja nun angeboten haben. Auch gut, dass Österreich das laut Außenminister Alexander Schallenberg ebenfalls getan hätte – noch besser wäre freilich gewesen, man hätte das proaktiv getan, und nicht erst auf ein mögliches Ansuchen gewartet.

Es muss aber auch klar sein, dass die EU und auch Österreich Entführungen und Morde nicht dulden, ebenso wenig wie Einschüchterungen. Unmissverständlich wäre es etwa, auch bestehende Wirtschaftsbeziehungen österreichischer Firmen noch einmal zu überprüfen – und gegebenenfalls abzubrechen. Schallenberg betont häufig, wie wichtig es sei, auch mit Lukaschenko eine Gesprächsbasis zu erhalten. Wenn dies aber passiert, ohne zugleich glaubhaft Druck aufzubauen, dann muss man sich irgendwann die Frage stellen, was es überhaupt bringt, zu reden. (Manuel Escher, 3.8.2021)