Innenminister Karl Nehammer hatte in seiner PK im November 2020 gesagt, die Muslimbruderschaft sei "einer der prominentesten Akteure des politischen Islams".

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Das ist eine Megablamage. Für Innenminister Karl Nehammer, für den türkisen "Kampf gegen den politischen Islam". Für Österreich.

Das Grazer Oberlandesgericht (OLG) hat einen nennenswerten Teil der großangelegten Razzia wegen Verdachts der "Bildung einer Terrororganisation" und "Terrorfinanzierung" durch sogenannte "Muslimbrüder" vom vergangenen November für rechtswidrig erklärt. Mit dieser Welle von Hausdurchsuchungen (Codename "Luxor") bei insgesamt 70 Personen, vorgenommen durch 930 (!) Exekutivbeamte, sollte ein großer Schlag gegen die "Muslimbrüder" und die "Hamas" gelingen.

"Operation Luxor"

Innenminister Nehammer tönte bei der dazugehörigen Pressekonferenz am 9. 11. 2020, durch die "Operation Luxor" seien "die Wurzeln des politischen Islam gekürzt" worden. Seither wartete die alarmierte Öffentlichkeit gespannt, was die Großaktion an verwertbarem Material, insbesondere an Belegen für Terrorfinanzierung und Bildung einer terroristischen Aktion, zutage gefördert hatte. Offenbar nicht viel.

Nun zertrümmert das Oberlandesgericht Graz nicht nur die Annahmen zur Verdachtslage bei zehn, teilweise prominenten, muslimischen Personen, deren Wohnungen zum Teil von schwerbewaffneten Spezialeinheiten gestürmt und deren Geld und Schmuck beschlagnahmt wurde; es entzieht in seinem Beschluss auch die grundsätzliche Basis der Razzia.

Das Gericht sagt im Wesentlichen, dass es sich bei den Muslimbrüdern eben nicht um eine "weltweit weitgehend homogene Gruppe handelt, die als Ganzes die verlangten Merkmale aufweist, sodass jedes Mitglied (…) dem Verdacht nach ohne weiteres auch ein (…) Mitglied einer terroristischen Vereinigung ist". Übersetzung: Man kann nicht pauschal jedes Mitglied der Muslimbruderschaft des Terrorismus (bzw. der Terrorismusfinanzierung) beschuldigen und darauf eine Riesenrazzia gründen.

Nehammer hatte in seiner PK im November 2020 gesagt, die Muslimbruderschaft sei "einer der prominentesten Akteure des politischen Islams". Sie sei "zutiefst gefährlich" und stelle sich "klar gegen Rechtsstaatlichkeit, Demokratie, Menschenrechte und Trennung von Religion und Staat".

Terroristische Organisation?

Das kann man politisch so argumentieren. Aber es ist ein Unterschied, ob man die unter Sunniten weitverbreitete und vielfältig aufgegliederte Bruderschaft nicht nur als politisch-radikale, sondern auch automatisch und pauschal als terroristische Organisation bezeichnen kann. Letzteres ist für das OLG Graz zu wenig belegt.

Die Frage ist nun, was aus der gewaltigen und gewaltig getrommelten Aktion an gerichtsverwertbarer Substanz herauskommt. Und ob es sich nicht wieder um eine türkise Inszenierung statt um substanzielle Radikalismusbekämpfung handelt.

Und noch ein Aspekt: Der Zwischenbericht der Untersuchungskommission zum Terroranschlag vom 2. November 2020 in der Wiener Innenstadt unter dem Vorsitz der Kriminologin Ingeborg Zerbes hält fest: Trotz Einstufung als "hohes Risiko" des späteren Attentäters wurden keine Veranlassungen gesetzt.

Das Landesverfassungsschutzamt Wien dachte zwar an eine "Gefährderansprache", aber das wurde "aufgrund der damals längst anstehenden Großoperation ‚Ramses‘ und der damit gebundenen Ressourcen (…) verschoben". "Ramses" hieß dann "Luxor". Wegen der Prestigeaktion gegen die Muslimbrüder hat man einen Attentäter aus den Augen gelassen. (Hans Rauscher, 3.8.2021)