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Die Skulptur "die Geste" soll im Hafen von Beirut an die Opfer der Katastrophe erinnern. Auch nach einem Jahr hat der Libanon noch keine stabile Regierung.

Foto: REUTERS/Mohamed Azakir

Als Najib Mikati zu Beginn vergangener Woche den Auftrag zur Regierungsbildung im Libanon erhielt, gab es ein leichtes Aufatmen – abzulesen auch am Wert des sich kurzfristig leicht stabilisierenden libanesischen Pfunds. Am Montag drohte der designierte Premier nach einem Treffen mit Staatspräsident Michel Aoun bereits wieder mit dem Aufgeben. Er habe keine "offene Deadline".

Der milliardenschwere 65-jährige sunnitische Unternehmer ist zwar wahrlich nicht das "neue Gesicht", das sich die libanesische Protestbewegung gewünscht hätte. Aber Mikatis politische Vergangenheit als von den unterschiedlichen Blöcken – und deren ausländischen Sponsoren – akzeptierter Premier von 2011 bis 2014 gab Hoffnung, dass er auch diesmal ein Kabinett zustande bringen würde. Die jetzige Statthalterregierung war bereits im August 2020, nach der durch Fahrlässigkeit und politische Ignoranz verursachten Explosionskatastrophe in Beirut zurückgetreten. Zuletzt hatte Saad Hariri neun Monate lang vergeblich versucht, ein Kabinett zu bilden.

"Unabhängig" ist relativ

Der Jahrestag am Mittwoch verstreicht also, ohne dass sich die politischen Akteure durchringen können, auf ihre durch ein konfessionelles Quotensystem zugeteilten Pfründe zu verzichten. Die Vorgabe für Mikati ist – wie für Hariri vor ihm – ein 24-köpfiges, nichtpolitisches Expertenkabinett. Aber das Wort "unabhängig" ist im Libanon relativ, denn auch die Experten sind immer Gruppen zuordenbar.

Konkret spießt es sich – wieder einmal – bei den sogenannten "souveränen Ministerien", das sind Innen-, Finanzen-, Verteidigungs- und Außenministerium. Mikati wollte die Zuteilung so behalten, wie sie derzeit in der amtierenden Regierung von Hassan Diab aussieht: Da besetzt ein Sunnit das Innenministerium, Christen das Verteidigungs- und Justizministerium und ein Schiit – und zwar von der Amal-Bewegung von Parlamentspräsident Nabih Berri – das Finanzministerium.

Präsident Michel Aoun hingegen will, dass diese Ministerien in der nächsten Regierung zwischen den Gruppen rotieren. Er selbst beziehungsweise sein Schwiegersohn Gebran Bassil, der die Aoun-Partei Freie Patriotische Bewegung führt, wollen laut der Tageszeitung Daily Star das Innenministerium selbst besetzen, das schon lange bei den Sunniten ist, sowie das Finanzministerium, das bei den Schiiten ist.

"Quote, Taif, Verfassung"

Am Donnerstag soll es neue Gespräche zwischen Aoun und Mikati geben. Mikati erinnerte daran, dass die Bevölkerung "nicht länger etwas über die Quote, Taif und die Verfassung hören" will, sondern eine funktionierende Regierung braucht. Im saudischen Taif wurde 1989 der Vertrag geschlossen, der den Bürgerkrieg beendete und das konfessionelle System bestätigte.

Die EU hat am 30. Juli die Rahmenbedingungen für die Verhängung von Sanktionen gegen Libanesen geschaffen, die Demokratie und Rechtsstaatlichkeit "untergraben": Dazu gehört die Verhinderung einer Regierungsbildung. Es gibt bereits US-Sanktionen gegen die Hisbollah und ihre Verbündeten, unter anderem Aoun-Schwiegersohn Bassil.

Heute, Mittwoch, hält Frankreich erneut eine Geberkonferenz für den Libanon ab, der schon vor der Katastrophe von Beirut nahe am Staatsbankrott schrammte. Die Regierungsbildung ist auch deshalb so dringend nötig, um internationalen Finanzinstitutionen Hilfe überhaupt zu ermöglichen. (Gudrun Harrer, 4.8.2021)