Im Gras-Rausch: Die Aufmerksamkeit wird reduziert, die Impulsivität erhöht.

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Für viele Menschen ist der regelmäßige Konsum von Cannabis zur Normalität geworden. Dem Europäischen Drogenbericht zufolge ist das Rauchmittel sogar die von allen Altersgruppen am häufigsten konsumierte illegale Droge. Und auch die weltweit größte Drogenumfrage "Global Drug Survey" attestiert, dass in Zeiten von Corona Trinken und Kiffen aus Langeweile, Stress oder Einsamkeit quasi schon zum Teil der Freizeitgestaltung geworden sind.

Da der Cannabiskonsum aber vor allem auch in der Altersgruppe der Zwölf- bis 25-Jährigen stetig zunimmt, wird eine Legalisierung der Droge immer wieder hitzig diskutiert. Die Ergebnisse einer internationalen Studie, die im Fachblatt JAMA Psychiatry veröffentlicht wurden, könnten der Diskussion erneut einen Dämpfer verpassen, da die bisher größte Langzeitbeobachtung zeigt, dass Cannabis – bei nicht ausgereiften Gehirnen – bleibende Schäden hervorrufen kann.

Internationales Projekt

Im Zuge des europäischen Forschungsprojekts Imagen wird untersucht, wie biologische, psychologische und umweltbedingte Faktoren die Gehirnentwicklung und die psychische Gesundheit junger Menschen beeinflussen. Mithilfe von bildgebenden Verfahren und genetischen Untersuchungen möchte das Projekt präventive Strategien entwickeln und neue Therapien für psychische Störungen etablieren.

Um die Auswirkungen des Cannabiskonsums auf junge Menschen zu untersuchen, wurde eine Gruppe von Jugendlichen und deren Eltern aus Deutschland, Frankreich, Großbritannien und Irland seit ihrem 14. Lebensjahr begleitet. Bei 799 Teilnehmern wurden im Alter von 14 und 19 Jahren zwei MRT-Aufnahmen des Gehirns angefertigt.

Die Wissenschafterinnen und Wissenschafter haben die Aufnahmen verglichen und die Unterschiede mit dem Rauschmittelkonsum der Jugendlichen in Verbindung gesetzt. Zu Beginn sahen alle Hirnscans noch ähnlich aus. Fünf Jahre später allerdings nicht mehr: Ein Teil der Jugendlichen hatte angefangen zu kiffen, einige gelegentlich, andere häufig.

Auffälligkeit: Dünnere Hirnrinde

Das Ergebnis: Bei Jugendlichen, die zwischen den beiden Untersuchungen Cannabis konsumiert hatten, war die Hirnrinde – der sogenannte Cortex – in der zweiten Aufnahme an mehreren Regionen dünner als bei der Vergleichsgruppe – also jenen Jugendlichen, die kein Cannabis konsumiert hatten. Die Forscher führen dies auf den Rauschmittelkonsum zurück, da es bei der ersten Aufnahme noch keine Unterschiede gegeben hatte.

Besonders ausgeprägt waren die Veränderungen im linken und rechten präfrontalen Cortex. Hier war der Rückgang der Cortexdicke umso stärker, je häufiger die Jugendlichen Cannabis konsumiert hatten. Diese Dosisabhängigkeit ist in Studien immer ein Hinweis auf eine Kausalität, so die Experten.

Für einen Zusammenhang spricht auch, dass die Veränderungen in Hirnregionen auftreten, in denen in anderen Studien eine erhöhte Dichte von Rezeptoren für körpereigene Cannabinoide gefunden wurde. Dies macht den Zusammenhang auch biologisch plausibel, erklärt Matthew Albaugh, klinischer Psychologe in der Abteilung für Psychiatrie am University of Vermont Medical Center.

Ob der Rückgang der Hirnrinde anhaltende Folgen für die Jugendlichen hat, lässt sich auf Basis der MRT-Aufnahmen allein aber nicht beurteilen – auch wenn ebendiese Hirnregion uns dabei hilft, Impulse zu kontrollieren, Probleme zu lösen und Handlungen zu planen. Um eine mögliche Verhaltensänderung der Probanden feststellen zu können, waren demnach neuropsychiatrische Tests notwendig.

Verhaltensänderung

Eine gestörte Impulskontrolle ist eine mögliche Folge von Störungen im präfrontalen Cortex. Dort befinden sich die Zentren für Problemlösungen (exekutive Funktionen) und die Impulskontrolle. Die Barratt-Impulsivitätsskala ist ein weitverbreitetes Maß für die Impulsivität. Die Forscher ließen die Probanden einen solchen Test absolvieren.

Und tatsächlich ließ sich auch hier ein Zusammenhang erkennen: Ein dünnerer rechter präfrontaler Cortex war mit schlechteren Ergebnissen auf der "Barratt Impulsiveness Scale" verbunden. Ähnliche Veränderungen wurden laut Albaugh in tierexperimentellen Studien beobachtet, wo sich durch eine Cannabisexposition Störungen der Hirnfunktion und im Sozialverhalten und in der Motivation auslösen lassen.

Psychologinnen und Psychologen, die Cannabiskonsumenten behandeln, dürfte dies an das amotivationale Syndrom erinnern, das als mögliche Folge eines hohen Cannabiskonsums im Jugendalter diskutiert wird. Es äußert sich durch einen dauerhaften Zustand der Antriebslosigkeit und Gleichgültigkeit und damit verbunden auch einem Nachlassen der Leistungsfähigkeit und des Verantwortungsgefühls, beschreiben Experten.

Menge ist ausschlaggebend

Der via Hirnscan und Verhaltenstest zu beobachtende Effekt hing eng mit der konsumierten Menge zusammen: Je mehr Cannabis konsumiert wurde, desto ausgeprägter waren die zu beobachtenden Folgen für Gehirn und Verhalten.

Obwohl im Zuge der Studie keine Grenzwerte abgeleitet werden konnten, ist bereits aus früheren Untersuchungen ersichtlich, dass beispielsweise bei Jugendlichen mit einer Neigung zu Psychosen bereits gelegentliches Kiffen psychische Krisen auslösen kann.

Das internationale Forschungsteam benennt allerdings auch mögliche Schwächen der Studie, da die Daten zum Konsum des Cannabis allein auf den Angaben der 799 Jugendlichen beruhen. Ungenauigkeiten oder fehlerhafte Angaben zur Menge oder Form der Einnahme könnten demnach nicht ausgeschlossen werden, heißt es.

Maximilian Gahr von der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie des Universitätsklinikums Ulm kommentiert im Interview mit dem Medscape Journal of Medicine die Kritik an der Untersuchung. Auch er hat sich bereits mit den Folgen des Cannabiskonsums bei Jugendlichen beschäftigt. "Frühere Studien hatten bereits darauf hingedeutet, dass der Gebrauch von Cannabinoiden insbesondere bei Adoleszenten möglicherweise zu anhaltenden kognitiven Beeinträchtigungen führt – die selbst dann weiter bestehen, wenn der Konsum beendet wird", sagt Gahr und benennt vor allem die Größe der Kohorte und den Einsatz bildgebender Verfahren als Stärken der Untersuchung. (Julia Palmai, 4.8.2021)