Die Aufgriffszahlen an der burgenländischen Grenze steigen und mit ihnen die Diskussionen, wie man damit umgehen soll.

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Eisenstadt – Über dem Jahr 2021 hängt der Schatten von 2015. Nicht nur im Burgenland. Aber da ganz besonders. "Zwei Drittel aller Aufgriffe von Migranten gibt es bei uns", sagt Hans Peter Doskozil. In der vergangenen Woche wurden 607 Migranten an der ungarischen Grenze erwischt. "Man kann sich vorstellen, was das bedeutet." In Tirol am Brenner wurden etwa im ganzen heurigen Jahr 699 aufgegriffen.

Hans Peter Doskozil ist nicht nur SPÖ-Landeshauptmann des Burgenlandes. Er war 2015 hier Polizeidirektor, mitten im Brennpunkt des europäischen Wendejahres.

Fuchsteufelswild

Seit Montag ist er fuchsteufelswild. Und wie es seine Art ist, hält er mit dem Grant auf den türkisen Innenminister Karl Nehammer nicht hinterm Berg. Am Montag erreichte ihn ein Brief Nehammers, in dem der Innenminister versicherte, dass man die Balkanroute beobachte und die Lage eh so weit stabil sei. Doskozil: "Man ist einfach nicht vorbereitet auf steigende Migration." Ein Riesenskandal sei das. Man wolle bloß politisches Kleingeld wechseln. "Bundeskanzler Kurz hat die Balkanroute nie geschlossen. Da will er nur G’schichtl drucken."

Schlepperorganisationen kassieren das große Geld. Seit Jahresbeginn steigen die Aufgriffszahlen kontinuierlich. Bis zum heurigen Juni gab es allein im Burgenland mehr als 5000. Im ganzen Jahr 2016 waren es 6500. Hauptherkunftsländer sind Afghanistan, Syrien und Irak. Das können auch die mittlerweile fast 1000 Assistenzsoldaten nicht verhindern. Sie befördern jedenfalls die Asylanträge. Österreich winkt nicht durch. Das ist im europäischen Sinn, aber auch ein zweischneidiges Schwert.

Das Mittelburgenland ist seit Monaten der Hotspot. Schlepper bringen die Migranten bis an die ungarische Grenze. Zu Fuß geht es weiter zu Sammelpunkten in burgenländischen Wäldern. Von dort aus wurden von hier tätigen Schleppern Taxis bestellt, die jene nach Wien brachten, die nicht Österreich als Ziel im Auge hatten.

Hickhack

Das ist mittlerweile kaum mehr eine Option. Denn lokale Taxiunternehmen wissen nun, dass der Schleppereiparagraf auch ihnen gelten kann.

Das österreichische politische Hickhack – aus dem sich die SPÖ, bis auf Doskozil, vornehm heraushält – ist freilich keine hinreichende Erklärung für das Anschwellen der Migration. Sieht man von den unmittelbaren Ursachen, den weltpolitischen Fisimatenten am Hindukusch und im Nahen Osten einmal ab, habe Viktor Orbán wieder einmal die Nase voll. "Ungarn hat sich aufs Durchwinken verlegt." Man dürfe nicht vergessen, dass Ungarn im kommenden Jahr wählt. Deutschland, das sich nicht scheut, Österreich in die Pflicht zu nehmen, schon im Herbst.

Das weiß man im Innenministerium auch. "Was Ungarn betrifft, korrespondiert das auch mit den Wünschen der Migranten", sagt ein Ministeriumssprecher. Niemand wolle nach Ungarn, Polen, Tschechien oder Rumänien. Dass der Schatten von 2015 sich verflüchtigen könnte, glaubt man im Innenministerium nicht. "In Bosnien, in Serbien haben sich viele gestaut. Jetzt kommt Weißrussland dazu."

Lernkurve

"2015 wird sich natürlich nicht eins zu eins wiederholen", meint Hans Peter Doskozil. Er ist damals vom kleinen Polizeidirektor im Burgenland zu einer republikweiten Figur gewachsen, die heute jene sozialdemokratische Haltung repräsentiert, die von denen, die sich "links" nennen, für "rechts" gehalten wird. Aber, sagt Doskozil, keiner scheint daraus gelernt zu haben.

Höchstens die FPÖ. Die war 2015 in der burgenländischen Landesregierung und dadurch, auf ihre Art jedenfalls, staatstragend. Jetzt ist das kein Muss mehr. Landeschef Johann Tschürtz fordert also gleich einmal den Bau eines Grenzzauns zu Ungarn.

Die ungarisch-burgenländische Grenze entwickelt sich wieder zum Hotspot. Soldaten springen den Polizisten bei. Die Zahlen steigen gleichwohl. (Wolfgang Weisgram, 3.8.2021)