Petra Werkovits (links) hat Peter Handke 2019 ins Künstlerdorf nach Neumarkt an der Raab gelockt. Kurz darauf kam die Nachricht vom Nobelpreis. 51 Jahre zuvor hatte er im Südburgenland seinen ängstlichen Tormann skizziert.

Foto: kulturundkommunikation

Von Kalch (links) bis Kittsee – Petra Werkovits und Peter Vukics haben in ihrem siebenbändigen Expeditionsbericht das Burgenland von Süd bis Nord erforscht.

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Das Burgenland setzt sich zusammen aus drei Landesteilen und sieben Bezirken. Zusammengehalten wird es von einem deutlichen ökonomischen Gefälle, das sich von Nord nach Süd neigt. Und dem folgt meist auch der Blick: Man schaut von oben, von Eisenstadt, hinunter.

Das Autorenduo Petra Werkovits und Peter Vukics haben diesen Blick umgekehrt. "Vor fünf Jahren", erzählen sie, "haben wir im Bezirk Jennersdorf begonnen, das Burgenland zu bereisen. Es war fast wie eine Expedition." Sie starteten in Kalch, wo das Burgenland ins Slowenische übergeht. Beendet wurde die pannonische Reise in Kittsee, das mittlerweile zu einem Vorort der slowakischen Hauptstadt geworden ist.

Bezirk für Bezirk und darin Dorf für Dorf haben die beiden sich angeschaut, erforscht, fotografiert, mit den Leuten beredet und beschrieben. Am vergangenen Montag wurde im Bildhauerhaus im Steinbruch von St. Margarethen der siebenbändige Expeditionsbericht vorgestellt: Burgenland en gros, aber auch sehr en detail. Die beiden nennen es "ein Roadmovie durchs Burgenland".

Südseele

Petra Werkovits, der weibliche Part des Autorenduos, ist eine Art Tausendsassa in kulturellen Ermöglichungsangelegenheiten. So was wie die südliche Seele des Burgenlands. Seit 2008 ist sie die Chefin des Künstlerdorfes Neumarkt an der Raab, das 1964 vom Maler Feri Zotter und vom Direktor des Wiener 20er-Hauses, Alfred Schmeller, initiiert wurde.

Es ist ein Ensemble alter, vor dem Wegreißen geretteter, fein renovierter bäuerlicher Gebäude, das dem Zusammensein von Künstlern gewidmet wurde; nachzulesen in dem von Werkovits und Vukics 2017 bei Residenz herausgegebenen Buch übers Künstlerdorf.

Letzter Zipfel

Neumarkt an der Raab liegt im letzten Zipfel des Landes. Dort, wo das südlichste Südburgenland, das ungarische Őrség und das slowenische Goričko sich aneinanderlehnen. Das nutzten und nutzen zahlreiche Künstler als jene leere Gegend, in der neben der Inspiration auch die Arbeitskonzentration gedeiht. Und das schöpferische Zusammenhocken, Herumtreiben, Zuprosten: der uralte Gedanke des Symposions.

Manche, die hier auf Arbeitsurlaub waren, haben sich angesiedelt. So wie der 2012 verstorbene Bildhauer Walter Pichler, der in St. Martin an der Raab – von dem Neumarkt ein Ortsteil ist – auch seinen rätselhaften Skulpturen Häuser errichtet hatte. In der Nachbarschaft hat kurz später, 1974, auch Christian Ludwig Attersee ein Bauernhaus erworben.

Tormannängste

Neben den Malern und Bildhauern kamen und kommen immer wieder die Musiker. Und Fotografen wie Elfie Semotan. Und die Literaten. Peter Handke zum Beispiel war einer der Ersten, mitgenommen vom burgenländischen Freund, dem Maler Peter Pongratz. Hier konzipierte er seinen ersten auch kommerziell erfolgreichen Prosatext. "Die Angst des Tormanns beim Elfmeter" zieht seinen Reiz auch aus dem Ambiente des "südlichen Grenzdorfes", das Wim Wenders in seiner Verfilmung 1972 hier ins Bild gesetzt hat.

Besuch

Vor zwei Jahren, im August 2019, war Handke wieder da. Petra Werkovits hat ihn im Herbst 2018 bei der Verleihung des Nestroy-Preises getroffen, "ich war dort, um als Teil des Produktionsteams der Elfriede-Jelinek-Verfilmung 'Die Kinder der Toten' den Spezialpreis entgegenzunehmen." Sie nutzte die Gelegenheit, ihn einzuladen. "Er fragte: Gibt’s denn den Raffel in Jennersdorf noch? Ich habe geantwortet: Ja, den gibt’s wieder. Die Schwammerlgerichte sind ein Traum. Sie müssen unbedingt kommen."

Er kam, erstmals seit 51 Jahren. Back to the roots, gewissermaßen. "Er war auch Schwammerlsuchen." Wenig später war er dann Nobelpreisträger.

Zufälle, sagt man, gibt’s nicht. Südlich von Jennersdorf schon gar nicht.

Veranstaltungstipp

Am 17. August feiert und gedenkt das Künstlerdorf mit einer literarischen Veranstaltung dem großen H. C. Artmann, der an heuer 100 geworden wäre und ebenfalls häufig in Neumarkt zu Gast war. "Handke", sagt Werkovits, "wollte auch kommen, hat es wegen der unsicheren Corona-Situation dann aber doch gelassen."

Das Schwammerlwetter hätte ihm jedenfalls gepasst.

Das Künstlerdorf, Petra Werkovits – Kultur und Kommunikation

(Wolfgang Weisgram, 5.8.2021)