Zwangsräumungen sind ein manifestes Problem am österreichischen Wohnungsmarkt. In den Jahren 2010 bis 2019 gab es insgesamt 47.100 Räumungen. Das entspricht rund 13 Räumungen täglich. Rund die Hälfte davon fanden in Wien statt.

Rechtlich können Vermieterinnen und Vermieter Zwangsräumungen aus verschiedenen Gründen erwirken. Dazu zählt etwa der missbräuchliche Gebrauch des Mietgegenstands, eine Belästigung anderer Hausparteien oder ein Verbleib in der Wohnung nach Ablauf der Befristung. Der weitaus häufigste Grund ist aber ein Mietrückstand.

Der häufigste Grund für Zwangsräumungen ist ein Mietrückstand.
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Für Mieterinnen und Mieter führen Zwangsräumungen zu hohen psychischen und finanziellen Belastungen durch den Verlust des eigenen Zuhauses. Viele der Betroffenen fallen durch bestehende Hilfsnetze des Sozialsystems, finden nicht gleich wieder eine Wohnung und landen auf der Straße. Das führt neben sozialen Problemen auch zu hohen volkswirtschaftlichen Kosten.

Im Kontext der Pandemie hat das sonst wenig beleuchtete Thema Räumungen eine breitere öffentliche Aufmerksamkeit bekommen. Hilfsorganisationen, Arbeiterkammern, aber auch die Immobilienwirtschaft haben auf die Gefahr steigender Zwangsräumungen hingewiesen. Das im Frühjahr 2020 beschlossene Covid-19-Maßnahmengesetz ermöglichte eine zeitlich befristete Mietstundung und Aufschiebung von Räumungsexekutionen.

Entwicklung der Zwangsräumungen (Index, 2004=100)
Foto: Selim Banabak, Antonia Schneider, Justin Kadi

Aktuelle Daten geben nun einen Einblick in die Entwicklung der Zwangsräumungen vor der Pandemie und was seither passiert ist. Diese Berechnungen zeigen darüber hinaus regional differenziert auf, wo in den nächsten Monaten besonders viele Zwangsräumungen drohen, die im Laufe des letzten Jahres aufgeschoben wurden.

Rückläufige Zahl an Zwangsräumungen

Das Positive vorweg: Die Zahl der Zwangsräumungen war in Österreich in den 15 Jahren vor der Pandemie deutlich rückläufig. Im Jahr 2019 gab es rund 38 Prozent weniger Zwangsräumungen als im Jahr 2004, was das Ergebnis eines längerfristigen Trends ist. Auch in fast allen Bundesländern ist die Zahl an Haushalten, die von einer Zwangsräumung betroffen waren, zurückgegangen. Besonders stark zeigte sich das in Salzburg, Tirol, der Steiermark und Wien.

Die hohe absolute Zahl an Zwangsräumungen in Wien beeinflusst auch den österreichweiten Trend deutlich. Lediglich im Burgenland und in Kärnten gab es 2019 mehr Zwangsräumungen als 15 Jahre davor. Mögliche Gründe für den Rückgang – trotz steigender Wohnkosten und tendenziell steigender Arbeitslosigkeit im betrachteten Zeitraum – sind wohl nicht zuletzt im Ausbau von Hilfsstellen zu suchen, die Betroffene bei drohender Zwangsräumung unterstützen.

Wie hat sich die Pandemie ausgewirkt?

Die Entwicklung am Arbeitsmarkt (hohe Arbeitslosigkeit, Kurzarbeit und entsprechende Einkommenseinbußen) würden vermuten lassen, dass die Zahl der Zwangsräumungen im Jahr 2020 deutlich gestiegen ist. Gleichzeitig gab es die angesprochenen politischen Maßnahmen, um Zwangsräumungen einzudämmen.

Die Analysen zeigen regional differenziert auf, wie sich die Zwangsräumungen während der Pandemie entwickelt haben und inwiefern sie vom Trend der letzten Jahre abweichen. Dazu muss zunächst der lokale Trend der vergangenen Jahre einbezogen werden. Denn wie oben bereits auf Bundesländerebene gezeigt, sind die Zwangsräumungen überwiegend, aber nicht überall rückläufig, und die Veränderungen sind lokal spezifisch.

Wo gibt es viele Zwangsräumungen?

Mithilfe des Modells wurde berechnet, wie sich die tatsächlichen Zwangsräumungen relativ zum prognostizierten Trend der letzten Jahre verhalten. Korrigiert wird dabei für eine lokal differenzierte Veränderung der Arbeitslosigkeit während der Pandemie: Denn wenn die Arbeitslosigkeit in einem Gebiet stark ansteigt, ist davon auszugehen, dass dort auch die Zwangsräumungen stärker zunehmen.

Die Karte zeigt die Abweichung der tatsächlichen von den prognostizierten Zwangsräumungen pro 100.000 Miethaushalten im Jahr 2020. Die Darstellung orientiert sich aufgrund der Datenverfügbarkeit an der Ebene von Gerichtsbezirken. In den grün markierten Gebieten lagen die tatsächlichen Zwangsräumungen unter den prognostizierten. In den rot markierten Gebieten lagen sie darüber.

Abweichung der tatsächlichen von den prognostizierten Zwangsräumungen im Jahr 2020.

Was lässt sich daraus schließen?

Die Analyse zeigt, dass in einer großen Zahl an Gebieten die tatsächlichen Zwangsräumungen unter den prognostizierten liegen. Hier wurden also weniger Haushalte geräumt, als aus dem Trend der Räumungen der letzten Jahre und der Entwicklung der Arbeitslosigkeit während der Pandemie zu erwarten gewesen wäre. Die politischen Maßnahmen zur Eindämmung von Zwangsräumungen scheinen hier gut gegriffen zu haben. Das trifft insbesondere auf die dunkelgrünen Bereiche zu, in denen mehr als 150 von 100.000 Miethaushalten weniger geräumt wurden als prognostiziert.

Klare räumliche Muster sind auf der Makroebene nicht erkennbar, wenngleich tendenziell im Süden und Westen des Landes ein höherer Anteil an grünen Gebieten zu finden ist. In Vorarlberg, der Steiermark, Salzburg, dem Burgenland und Wien finden sich keine Gebiete mit deutlich höheren Räumungen als prognostiziert. Solche Gebiete finden sich im Westen Tirols, im Osten von Kärnten, in Oberösterreich und vor allem in Niederösterreich (auf der Karte in Rot). An diesen Orten haben die politischen Maßnahmen zur Eindämmung offensichtlich nicht gut gegriffen.

Die Dominanz grüner Gebiete kann allerdings auch anders interpretiert werden. Je grüner ein Gebiet, desto größer die Gefahr, dass in den nächsten Monaten räumlich konzentriert Räumungen nachgeholt werden, die bisher aufgeschoben wurden. Das ist insbesondere deswegen eine Gefahr, da die gesetzlich vorgesehenen Mietstundungen ausgelaufen sind beziehungsweise Räumungsexekutionen per Gesetz nur temporär verschoben wurden.

Bereits mit Ende März etwa sind Mieten fällig geworden, die aus dem Vorjahr gestundet werden konnten. Die Volkshilfe schätzt, dass sich daher die Zahl der Räumungen gegenüber dem letzten Jahr verdoppeln könnte. Nach Schätzungen der Arbeiterkammer könnten in den kommenden Monaten sogar bis zu 17.000 Mieterinnen und Mieter von einer Zwangsräumung betroffen sein. Diese Analyse zeigt, wo die Gefahr dafür besonders hoch ist und wo akuter Handlungsbedarf besteht, um dieses wohnungs- und sozialpolitische Problem zu adressieren. (Selim Banabak, Antonia Schneider, Justin Kadi, 10.8.2021)