Mit bloßem Auge sind sie nicht zu erkennen: die Aerosole. Anders als größere Tröpfchen sinken sie nicht nach kurzer Zeit zu Boden, sondern verteilen sich leichter in der Luft und verbleiben dort auch länger.

Foto: imago images/Alexander Limbach

Dass Aerosole neben der direkten Übertragung von Mensch zu Mensch erheblich zum Infektionsgeschehen von Sars-CoV-2 beitragen, gilt mittlerweile als gesicherter Wissensstand. Dennoch wird der Umstand oft noch heftig diskutiert. Viele Menschen sind über die Ansteckungsgefahr durch Aerosole nicht ausreichend informiert, sagen Experten. Und wer weniger weiß, schützt sich auch weniger, heißt es. Dabei zeigen zahlreiche Studien, dass sich Viren über Aerosolpartikel sehr gut ausbreiten können.

Ein wissenschaftliches Positionspapier will nun über den aktuellen Erkenntnisstand informieren und gibt konkrete Empfehlungen – ein Versuch der Fachgemeinschaft, gegen die vierte Welle vorzubeugen. Denn: "Wir werden uns von der Vorstellung verabschieden müssen, dass ein vollständig Geimpfter nicht ansteckend ist", erklärte Leif Erik Sander, Leiter der Forschungsgruppe Infektionsimmunologie und Impfstoffforschung an der Charité Berlin, kürzlich in einem virtuellen Pressegespräch.

Die interdisziplinäre Kommission für Pandemie der Deutschen Forschungsgesellschaft (DFG), bestehend aus Fachleuten der Bereiche Aerosolforschung, Strömungstechnik, Epidemiologie und Infektionsforschung, will nun konkretes und situationsbedingtes Wissen vermitteln: "Informationen auf breiter fachlicher Basis sollen zu mehr Sicherheit beitragen und konkrete Hinweise zum Schutz vor Infektionen geben", heißt es. Doch was genau ist eigentlich ein Aerosol?

Schwebende Teilchen

"Die respiratorische Aufnahme virushaltiger Partikel, die beim Atmen, Husten, Sprechen, Singen und Niesen entstehen, ist der Hauptübertragungsweg von Sars-CoV", erklärt das Robert-Koch-Institut (RKI). Je nach Partikelgröße und physikalischen Eigenschaften ist zwischen den größeren Tröpfchen und kleineren Aerosolen zu unterscheiden. "Der Übergang zwischen den beiden Formen ist fließend."

Als Transporteur von Coronaviren sind Aerosolpartikel für die meisten erstmals ein Begriff geworden. Im Unterschied zu Tröpfchen, die verhältnismäßig rasch zu Boden sinken, können Aerosole längere Zeit in der Luft bleiben und sich so über größere Distanzen verteilen.

Als Aerosol bezeichnet man ein Gemisch aus Luft mit festen oder flüssigen Partikeln. Es ist wendig, verändert sich ständig und ist kaum in den Griff zu bekommen, sagen Experten. Während sie schon beim Atmen und Sprechen, aber noch stärker beim Schreien und Singen ausgeschieden werden, entstehen beim Husten und Niesen deutlich größere Partikel, so die Einschätzung des RKI. Sind viele Menschen in Innenräumen versammelt, ist die Gefahr entsprechend groß, sich auch über Aerosole mit dem Coronavirus anzustecken.

Infektionswege variieren

In Hinblick auf das Ende der Outdoor-Saison ist das richtige Verhalten in Innenräumen deshalb auch so entscheidend. Durch saisonale Faktoren, neue Virusvarianten, sinkenden Impfschutz nach der zweiten Impfung und mangelnde Impfbereitschaft nähern wir uns der Gefahr einer vierten Welle. Die Abwehr von Aerosolen könnte ein Wiederansteigen der Infektionszahlen maßgeblich reduzieren, so der wissenschaftliche Tenor.

Die im Papier empfohlenen Maßnahmen des DFG berücksichtigen dabei auch die einschlägigen Empfehlungen des Robert-Koch-Instituts, der US-amerikanischen Centers for Disease Control and Prevention (CDC) und der Weltgesundheitsorganisation (WHO).

Unterschieden wird dabei zwischen direkten und indirekten Infektionen: Unter einer direkten Infektion ist eine Übertragung durch besagte Aerosolpartikel zu verstehen, die durch unmittelbare Nähe zu einer anderen Person oder Personengruppe direkt durch Atmen, Sprechen, Husten, Singen oder Niesen zustande kommt. Eine indirekte Infektion hingegen bezeichnet eine Übertragung durch infektiöse Aerosolpartikel, die sich über mehrere Stunden in Innenräumen anreichern.

Vorsicht geboten

Die Übertragung von Sars-CoV-2 finde nach gegenwärtigem Stand der Forschung fast ausnahmslos in Innenräumen statt. Das große Infektionsrisiko in Innenräumen hängt nämlich vor allem damit zusammen, dass hier sowohl direkte als auch indirekte Infektionen stattfinden können: Während direkte Infektionen begünstigt werden, wenn Menschen über kurze Distanz längere Zeit miteinander sprechen, ohne sich zu bewegen – beispielsweise an der Supermarktkassa, an der Hotelrezeption, beim Friseur oder bei Gesprächen mit Tischnachbarn im Büro oder in der Schule –, kommt es in schlecht belüfteten Innenräumen auch ohne direkte Begegnung zu einer Ansteckung, wenn sich zuvor eine infektiöse Person länger darin aufgehalten hat.

Daher konnte und kann es auch weiterhin in Innenräumen zu "Clusterinfektionen" beziehungsweise "Superspreading Events" kommen – so geschehen in Altenheimen, Wohnheimen, Betreuungseinrichtungen, Sammelunterkünften und Schulen oder auch in Aufzügen. Auch bei starker Atemaktivität wie bei Chor- und Orchesterproben, schwerer körperlicher Arbeit oder Sport im Fitnessstudio steigt das Risiko einer indirekten Infektion.

Alles anders im Freien?

Außerhalb geschlossener Räume – also im Freien – kann es dem Positionspapier zufolge praktisch nur zu direkten Infektion kommen, da "indirekte Infektionen aufgrund von Luftströmungen und dadurch stark verdünnter Viruslast sehr unwahrscheinlich sind". Deshalb seien dort oft auch nur geringere Schutzvorkehrungen notwendig.

Ausnahmen bilden Situationen, in denen sich Menschen ohne den essenziell wichtigen Mindestabstand länger direkt unterhalten oder lange beisammensitzen – etwa im Schanigarten, in Wartezonen, in der Warteschlange, in Bus- oder Straßenbahnstationen oder bei Open-Air-Veranstaltungen und Demonstrationen. In solchen Situationen bieten einfache medizinische Masken oder gute Mund-Nasen-Bedeckungen ausreichend Schutz gegen direkte Infektionen, so die Wissenschafterinnen und Wissenschafter.

Den besten Schutz, so das Fazit des Positionspapiers, bietet immer die Kombination aus Maßnahmen zur Verhinderung von direkten Infektionen: also Kontaktreduktion, Abstandhalten, Maske tragen und Händewaschen sowie Maßnahmen zur Verhinderung von indirekten Infektionen, also Lüften, Schutzwände, raumlufttechnische Anlagen, effiziente mobile Raumluftreiniger und geeignete Masken.

Bei unvermeidlichem Verweilen muss der Luftwechsel durch Querlüften, feste oder mobile raumlufttechnische Anlagen gewährleistet sein. Sie müssen mit "maximalem Volumenstrom und möglichst mit 100 Prozent Außenluft betrieben werden".

Die Maske: Ein Muss?

Aber auch die beste Raumlüftung kann keinen Schutz vor direkten Infektionen bieten. Luftreiniger seien deshalb "kein Ersatz für Masken jeglicher Art". Die Forscher empfehlen zusätzlich das Tragen partikelfilternder Masken, also FFP2-Masken (KN95, N95). Sie weisen außerdem dezidiert darauf hin, dass die Maske dicht sitzen muss.

Einfache OP-Masken oder Mund-Nasen-Bedeckungen bieten "keinen Selbstschutz vor indirekten Infektionen, weil die Aerosolpartikel am Maskenrand ungehindert ein- und ausströmen", heißt es im Papier. Solche Masken böten entsprechend nur einen gewissen Fremdschutz vor direkten Infektionen, weil die schnelle Aerosolausbreitung nach vorne behindert werde.

Für alle Zusammenkünfte in Innenräumen – also auch für Schulen und Universitäten – müsste deshalb "weiterhin an der Pflicht zum Tragen medizinischer Masken festgehalten werden". Um direkte Infektionen im Freien zu vermeiden, gilt es nach Auffassung der DFG, "mindestens 1,50 Meter Abstand zu anderen zu halten" und an der Bushaltestelle, in der Warteschlange, bei Open-Air-Veranstaltung sowie Demonstrationen eine Maske zu tragen. Das muss keine medizinische sein, hier reicht auch ein einfacher OP-Mundschutz.

Entscheidend sei es jedoch, dass verschiedene Schutzmaßnahmen sinnvoll kombiniert werden – denn nur möglichst einheitliche Regelungen garantieren auch eine hohe Sicherheit bei möglichst geringen Einschränkungen in Alltag und Lebensqualität. (Julia Palmai, 7.8.2021)