Ausnahmsweise ist nichts passiert. Es gibt dieser Tage keinen traurigen neuerlichen Frauenmord, der die mediale Debatte bestimmt, zumindest war keiner bekannt, als diese Zeilen geschrieben wurden.

Dennoch müssen wir über Femizide reden. Gerade jetzt. Und zwar über alle, nicht nur über die besonders tragischen und aufsehenerregenden. Eine tote Frau ist eine tote Frau, egal, ob sie brutal hingerichtet oder im Suff erschlagen wurde. Die Aufgabe der Politik ist es, zu verhindern, dass das künftig noch öfter passiert als ohnehin schon. Die Aufgabe von Medien und der Gesellschaft ist, dazu beizutragen, indem man sich diesem Thema stellt und darüber gesprochen wird. Der sinnlose Tod von 17 Frauen allein in diesem Jahr – in allen Fällen waren, soweit bekannt, Männer die mutmaßlichen Täter – muss Folgen haben. Es muss sich etwas verändern.

Anlass- und tatbezogene Reaktion

Die Politik hat reagiert. Aber anlass- und tatbezogen, das große Ganze hat sie nicht im Blick. Nur einige Beispiele.

Es war der neunte mutmaßliche Frauenmord, nach dem Familienministerin Susanne Raab, Innenminister Karl Nehammer (beide ÖVP) und Justizministerin Alma Zadić (Grüne) eilig ein Maßnahmenpaket schnürten, das in weiten Teilen bereits Teil eines Erlasses war, den die Justizministerin schon ein halbes Jahr zuvor herausgegeben hatte. In diesem konkreten Fall hatte der Tatverdächtige schon zuvor eine zweifelhafte Prominenz erlangt: Der sogenannte Bierwirt war der Öffentlichkeit schon durch diverse Gerichtsprozesse bekannt, jetzt soll er eine Frau in ihrer Wohnung erschossen haben.

Es waren die elfte und zwölfte getötete Frau, die den Innenminister dazu veranlassten, eine Gesetzesänderung in die Wege zu leiten: Nachdem ein Mann seine Ex-Freundin und deren Mutter erschossen haben soll, will Nehammer nun, dass jemandem die Waffe abgenommen werden kann, wenn Gewalt in der Familie droht. Kann sie nach Ansicht von Expertinnen übrigens schon jetzt.

Debatte über Afghanen

Und es war der fünfzehnte Fall, der eine wochenlange, titelseitenfüllende und hitzige Debatte über Afghanen auslöste. Die Causa Leonie spaltete beinahe die Koalition und brachte gleich mehrere Themen aufs Tapet, die da schon längst hätten liegen sollen: Dass Afghanistan kein geeignetes Land ist, um dorthin abzuschieben, und dass die afghanische Community in Kriminalstatistiken mitunter auffällt.

Der Tod der 13-jährigen Leonie erschütterte das Land.
Foto: Heribert Corn

Genau das ist das Problem: Man diskutiert und reagiert erstens zu spät und zweitens oft am Kern der Sache vorbei. Warum sprechen wir stattdessen nicht längst darüber, dass es geschultes Personal in Krankenhäusern und Schulen braucht, dass es viel zu kompliziert und oft eine viel zu große Hürde ist, eine Anzeige zu erstatten? Oder geben ehrlicherweise zu, dass wir selbst keinen Plan hätten, wie wir reagieren würden, wenn es im engsten Bekanntenkreis zu Gewalt in der Familie kommen würde? Und warum stehen Polizei, Opferschutzorganisationen und Staatsanwaltschaften nicht schon längst in einer offenen Debatte darüber, wie man sowohl Opfer verhindert und als auch dafür sorgt, dass ein Mann gar nicht erst zum Täter wird?

Gewalt an Frauen muss ernst genommen werden, noch bevor ein Mord daraus wird – von der Polizei und auch von der gesamten Gesellschaft. Signale müssen erkannt und Hilfe muss rechtzeitig angeboten werden. Dafür brauchen wir eine breite, gemeinsame Debatte – und zwar jetzt. (Gabriele Scherndl, 6.8.2021)