Stellt den Rucksack nieder, packt die Dosen aus, kramt aus einem weißen Plastiksackerl die Caps heraus, die dünnen, die normalen und die Fat Caps, die zum dicken Aufsprühen der Farbe, steckt sie auf die Dosen, zieht sich die Handschuhe an und fängt an zu schütteln. "Dieses Piece da habe ich 2018 gemalt, die Farbe hat gut gehalten", sagt Friend, "aber irgendwer hat es vor ein paar Monaten gecrosst." Deutet auf die rote Schrift, die das alte Bild überdeckt: Go home, fucking pussy! "Jetzt ist es an der Zeit, der Stadt ein neues Piece zu schenken." Warum ausgerechnet hier? "Ich liebe diesen Ort."

Friend, rund 30 Jahre alt, Hoodie und Käppi, wie man sich das vorstellt, aber mit einem charmanten Lächeln zum Dahinschmelzen, zeichnet und malt seit seiner Kindheit. Schon als kleiner Schulbub zog er durch die Bezirke, über den Gürtel, über den Donaukanal, damals noch grau und größtenteils unscheinbar, und studierte die Tags und Sprühbilder, die hie und da auf den Steinwänden und Stadtbahnbögen zu finden waren. Die ersten Graffiti hat er mit 13 gemacht, heute ist die Street-Art aus seiner Freizeit und aus seinem beruflichen Leben nicht mehr wegzudenken.

Himmlische Lichtkegel

"Ich mag den Begriff Street-Art aber überhaupt nicht, weil er von vornherein suggeriert, Teil einer hochkulturellen Kunst- und Galeriemaschinerie zu sein", sagt Friend, "und das finde ich problematisch. Ich spreche viel lieber von Malen im öffentlichen Raum, denn vom künstlerischen Standpunkt her ist es irrelevant, ob ich eine Leinwand, eine Feuermauer oder einen verlassenen, versteckten Ort im Untergrund bemale. Mit dem Unterschied jedoch, dass vom Malen im urbanen Kontext nicht nur einige wenige, finanziell Privilegierte profitieren, sondern mal alle und mal fast niemand."

In diesem Fall richtet sich die Kunst an fast niemanden. Wir stehen im Wienflussgewölbe, irgendwo unter der Stadt, kein Mensch weit und breit, durch die Gullyschächte, die wie himmlische Lichtkegel ins Dunkle und Düstere hinunterscheinen, dringt der Straßenlärm hinein, Kindergeschrei, Motorengeräusche, eine Polizeisirene, eine von vielen an diesem frühen Morgen, überall glitschige Algen am Boden, tausende Quadratmeter Spinnweben überall, der Wind pfeift einem um die Ohren. Friend hat schon einen Großteil seines alten Bilds getoppt, erst mit Blau und Lila, später mit Gold und Orange, am Ende erst kommen die kräftigen Kontrastfarben zum Einsatz, Weiß, Gelb und Schwarz.

"Städte ohne Graffiti verlieren an Charme, haben einen eigenartigen Beigeschmack, machen mir Angst." Friend bei der Arbeit.
Foto: Florian Albert

"Das Malen im öffentlichen Raum ist für mich ein Ausdruck von Freiheit, von Menschlichkeit, von Handlungsfähigkeit. Städte ohne Graffiti verlieren an Charme, haben einen eigenartigen Beigeschmack, machen mir Angst." Einen Lieblingsort zum Sprayen hat Friend nicht. Mal ist es hier unten unter der Stadt, mal treibt er sich unter der Südosttangente herum, irgendwo in Simmering, wo ein paar Obdachlose und geflüchtete Menschen ihre buchstäblichen Zelte aufgeschlagen haben, meist kommt man miteinander ins Gespräch, sagt er, und mal ganz hochoffiziell in Form von Auftragsarbeiten auf Hauswänden und Feuermauern.

Untrennbar verbunden

In der Mauthausgasse am Hundsturm, Bezirk Margareten, hat er mit zwei seiner Kollegen, mit Ruin und Perkup, die wie Friend ein anonymes Sprayerdasein führen, ein riesiges Mural mit Krabbe, Stillleben und kryptischen Zeichnungen gemalt. Die wohl größte Öffentlichkeit aber hat Friend derzeit am Karlsplatz. Auf dem Bauzaun rund um das Wien-Museum, das gerade umgebuddelt und ausgeweidet wird, hat er mit der Osttiroler Künstlerin Linda Steiner ein fast 60 Meter langes Mural erstellt, das in den nächsten Wochen als Teil der Open-Air-Ausstellung Urban Natures zu sehen ist. Frauenkörper, figurative Gartenlandschaften, Fragmente von chemischen und biologischen Lehrtafeln. Man kommt aus dem Schauen nimmer raus.

"Die Stadt verschwindet, verändert sich, wird permanent umgebaut", sagt Friend, "nicht nur hier am Karlsplatz, sondern, viel schlimmer noch, wenn etwa Spitäler verfallen oder Jugendstilhäuser und Gründerzeitbauten abgerissen werden. Graffiti hat auch die Aufgabe, auf diese urbanen Veränderungen hinzuweisen, den Ort zu betonen und sich den Menschen in Erinnerung zu rufen."

Den oft gehörten Vorwurf, das eine sei schön, und daher würde man es tolerieren, so wie etwa am Donaukanalufer oder jetzt gerade vor dem Wien-Museum, das andere aber sei einfach nur hässlich und gehöre dringend entfernt und übermalt, lässt er nicht gelten. "Natürlich, manche Arbeiten landen in der Hochkultur, im Pop oder in der Street-Art, und dann tauchen sie plötzlich im Wien-Reiseführer auf, andere aber nicht, weil sie einfach nur ein schnelles Throw-up sind. Dennoch ist das alles untrennbar miteinander verbunden, das eine wäre ohne das andere niemals entstanden."

Blamage!

Über das andere haben sich letzte Woche Österreichs Architekten den Kopf zerbrochen und die Finger wundgeschrieben. Das "gesellschaftliche Problem" lasse sich nicht einfach so "mit Farbe und Pinsel wegmachen", hieß es im Chat der IG Architektur. Das "Geschmiere" sei "grauenvoll", die "Daseinsberechtigung" nicht erkennbar. "Also bleibt als vernünftige Lösung nur ein Graffitischutz", lautet schließlich der Ratschlag eines Mitdiskutanten. "Graffiti sollten wirklich umgehend entfernt werden. Weil nur so gewinnt man gegen die Sprayer. Die informieren sich nämlich gegenseitig über erfolgte Arbeiten, und ihre Fans pilgern dann am Wochenende vorbei, um das zu begutachten. Wenn das Graffito aber bis dahin schon wieder weg ist … Blamage!"

Friend ist fast fertig. Nach einer Stunde im Dunkel ist ein zwei Meter hohes und, wer weiß, vielleicht zehn oder elf Meter langes Piece entstanden, am Ende hat es fast etwas Leserliches. Buchstaben? Ein Blockbuster? Die Idee einer Gegenständlichkeit? "Ich hab’s gern abstrakt, ich mag es, mich an einer typografischen Ästhetik anzulehnen, aber ganz ehrlich, Leserlichkeit hat keine Priorität. Für mich geht es um die emotionale Aneignung eines Raums, um einen künstlerischen Beitrag in einem versteckten, unbekannten Museum. Jede Entdeckung ist eine Schule des Sehens." Auch das ist Stadt. Ein schnelles Tag: 2021, Friend. "Fertig. Ich pack zam, und dann weg von hier." (Wojciech Czaja, 08.08.2021)