Carl Lewis: "Die sahen schlechter aus als Amateur-Kids, so etwas ist komplett inakzeptabel."

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Tokio – Der große Carl Lewis war entsetzt. Nachdem die Nachfolger des größten US-Leichtathleten arrogant und dilettantisch in Tokio auf seinem olympischen Erbe herumgetrampelt waren, twitterte "King Carl" eine maximal zorndurchsetzte Grußbotschaft über den Pazifik. Das Debakel der einstigen Sprintmacht in Japan hatte nicht nur ihn auf die Palme gebracht.

"Sie haben wirklich alles falsch gemacht, was geht. Das ist so peinlich", schrieb der 60-Jährige nach dem Vorlauf-Aus der US-Männerstaffel über 4 x 100 m: "Die sahen schlechter aus als Amateur-Kids, so etwas ist komplett inakzeptabel."

Das Debakel der Staffel, jene "Clown-Show", wie der neunmalige Olympiasieger am Morgen danach immer noch erbost in USA Today nachlegte, war der Tiefpunkt für die einstmals stolze Sprint-Nation, deren Männer für ihr historisch schlechtes Abschneiden reichlich Häme kassierten.

"Die Amerikaner sind von Staffeln aus China, Italien, Deutschland und Ghana geschlagen worden. Das ist ein neues Frustrationslevel", ätzte die "New York Times". Nicht nur das: Erstmals in der olympischen Geschichte blieben die US-Männer ohne Sprint-Gold auf einer Einzelstrecke.

Viermal Silber schwacher Trost

Die Sieger im klassischen Kanon (100, 200, 400 m, 110/400 m Hürden) kamen aus Italien, Kanada, von den Bahamas, aus Jamaika und Norwegen. Viermal US-Einzelsilber war ein schwacher Trost. "Mir fehlen komplett die Worte", sagte Ex-Weltrekordler Leroy Burrell, der mit Lewis einst die Sprintszene beherrschte.

Die Sprachlosigkeit ist nachvollziehbar: Topfavorit Trayvon Bromell scheiterte in Tokio im 100-m-Vorlauf und läutete als Startläufer den Staffel-Untergang ein. Über 400 m, wo zwischen 1956 und 2008 nur Alberto Juantorena (Kuba) 1976 in Montreal und der Moskau-Boykott 1980 die US-Goldserie unterbrochen hatten, blieben die Amerikaner medaillenlos. Und als Grant Holloway sicher geglaubtes Hürdensprint-Gold auf den letzten Metern verspielte, feierte er Silber, als hätte er gerade mit Weltrekord und zehn Metern Abstand triumphiert.

Kaum trainierte Wechsel

Dabei ist es nicht nur ein Qualitäts-, sondern auch und vor allem ein Mentalitätsproblem. Dass die Staffel wegen eines Wechselfehlers sämtliche Goldhoffnungen beerdigen musste, ist fast schon schlechte Tradition. Wie viele Staffelwechsel sie denn trainiert hätten, wurden Fred Kerley und Ronnie Baker nach dem Rennen gefragt. "Weiß nicht", murmelte Kerley. "Nicht viele", meinte Baker achselzuckend.

"Es war offensichtlich, dass in dieser Staffel niemand die Führungsrolle übernommen hat", meinte Lewis. Bromell war dazu ebenso wenig in der Lage wie Christian Coleman. Der Weltmeister ist gesperrt, weil er statt bei einer Dopingprobe lieber im Walmart war. Und der mehrfach als Dopingsünder überführte Ex-Weltmeister Justin Gatlin verpasste mit 39 Jahren das Tokio-Ticket.

Hoffnung macht immerhin der Auftritt von Highschool-Hero Erriyon Knighton, Vierter über 200 m. Knighton ist 17, er könnte die Probleme lösen. (sid, 6.8.2021)