Spielen Sie sich schon im Job, oder arbeiten Sie noch? Arbeiten als Lifestyle ist heute scheinbar an der Zeit – zumindest wenn man den Mythen des New Work Movements glauben kann. Heute arbeitet man zeitgemäß, in flachen Hierarchien, agil und selbstbestimmt und mit den Chefs auf Augenhöhe, und die zeigen sich mit New-Balance-Schuhen und ohne Krawatte. Konflikte werden moderiert, Spannungen ausgesprochen, man bringt sich als ganze Person ein – nicht nur bei der Weihnachtsfeier.

Doch während für die einen die Tür zur Oase des beruflichen Glücks sperrangelweit offen steht, bleibt diese für andere verschlossen. Wie das Zauberwort für den Eintritt in den Spielplatz Arbeitswelt lautet, wissen nicht alle. Und die, die es wissen, stellen oft sicher, dass in diesen Platz nur die Richtigen hineinkommen. Somit spielen die einen, und die anderen schauen arbeitend dem Spiel zu. Wer darf also spielen und wer nicht?

Über Grenzen hinweg

Um diese Frage zu erhellen, lohnt ein Blick in die Spieltheorie. Spielen, so der Philosoph Bernard Suits, ist eine freiwillige Tätigkeit, in der wir unnötige Hindernisse überwinden. Das klingt zuerst noch nicht nach Arbeit. Wer spielerisch an Arbeit herangeht, setzt sich über die Grenzen und Hindernisse des Jobs hinweg. Im Spiel entfalten sich dabei die Fähigkeiten der Spielenden, Kreativität wird freigesetzt und diverse Anstrengungen verschwinden.

Erst wer voll und ganz spielt, ist in seiner Kraft und kann frei und flexibel die aktuellen Hindernisse und Herausforderungen überwinden. Doch nur wer sich im Job nicht bedroht fühlt, wer sich frei fühlt, kann in der Arbeit auch tatsächlich spielen. Für die anderen bleiben die Hindernisse spürbar, mühsam, das Lernen am Arbeitsplatz bleibt anstrengend und das Erreichen der Ziele freudlos. Für die Nichtspielenden ist die Arbeit eben bitterer Ernst.

Ist also Arbeit das Gegenteil vom Spiel? Der Spielforscher Brian Sutton-Smith argumentiert, dass es ist nicht die Arbeit, sondern die Depression ist, die das Gegenstück zum Spiel bildet. Spiel ist Bewegung und ein offenes Sicheinlassen – Depression ist Stillstand und ein lustloses und unfreiwilliges Im-Außen-Sein. Für ihn ist es das große Potenzial des Spiels, sich darin voll und ganz auszudrücken zu können und sich nicht im eigenen Handlungsspielraum zu beschränken.

Anders sieht es der deutsche Philosoph Hans-Georg Gadamer, der den Gegenpol zum Spiel als ein Spielverderben sieht, denn "nur der Ernst beim Spiel lässt das Spiel ganz Spiel sein". Der Spielverderber nimmt den Spielenden den Wind aus den Segeln, verändert die Regeln, verteilt die Ressourcen ungerecht oder nimmt die Gewinner nicht ernst. Der Spielplatz Job hat eigene Gesetze, und wer sie macht, entscheidet auch, wer mitspielen darf und wer über die Regeln mitverhandeln darf. Wer darf also mitspielen und wer nicht?

Gleiche Möglichkeiten

Wer um Gleichberechtigung kämpfen muss, hat schon verloren, bevor das Spiel überhaupt seinen Anfang nimmt. Denn wer unterdrückt wird, hat es mit Bedrohung zu tun und hat verständlicherweise die Überwindung lebensnotwendiger Hindernisse zum Ziel. Wer zum Beispiel bei Monopoly später einsteigt, kann nur verlieren, und das eigene Kapital wird zur sicheren Beute der Besitzenden. Das Spiel wird dann zum Kampf, die Idee, leicht und frei aufzuspielen, wird zur unerreichbaren Illusion. Die spielerische Entfaltung wird damit zur erkämpften Positionierung.

Was es tatsächlich bedeutet, in einem unfairen Spiel mitspielen zu wollen, wissen hauptsächlich Frauen und Menschen einer anderen Herkunft, Menschen mit besonderen Bedürfnissen sowie viele junge Menschen, denen bestimmte Erfahrungen oder Ausbildungen fehlen. Die Kombination aus all diesen Aspekten und das Fehlen von Verbindungen zu den Spielleitern verschließen die Tür zur Oase des Spiels mit ziemlicher Sicherheit. Das Potenzial des Spielens kommt somit bei Menschen, die von Spielverderbern ausgebeutet und unterdrückt werden, weniger zur Geltung.

Die Einladung zum Spiel ist dabei fast ein Hohn – wenn und weil nicht alle die gleichen Möglichkeiten bekommen zu gewinnen. Jedes Spiel braucht klare Grenzen, Regeln und Ziele – eben diese Transparenz ist entscheidend, um das Spiel sinnvoll spielen zu können. Betrug, das Verderben des Spiels oder das intransparente Ändern der Regeln muss sanktioniert werden – diese Regel muss für alle gelten, für Gewinnende und Verlierende.

Spielerische Entfaltung

Der Grund, warum wir uns in Spielen so gut entfalten können – und wodurch wir bereits als Heranwachsende viele Grundfähigkeiten erlernten –, liegt in der Art, wie wir uns auf das Spiel einlassen. Wir schöpfen den spielerischen Handlungsspielraum aus, der uns gegeben ist. Wenn uns der Zugang zum aktuellen beruflichen Handlungsspielraum verschlossen bleibt, gilt es, einen eigenen zu entwickeln und dort nach Entfaltung zu suchen.

Hier liegt ein Potenzial für die Gestaltung der eigenen Spielregeln im Job: Was will ich in diesem Spiel? Welche Räume sind offen und welche zu? Wenn es Chancen gibt, was sind die Kosten? Wenn ich verliere, was sind die echten Konsequenzen? Gibt es Alternativen mit mehr Spielräumen? Gibt es Mitspielende, die mich unterstützen können? Welche, die ich unterstützen kann? Das Entscheidende hierbei ist, sich im eigenen Handlungsspielraum in Bewegung zu halten und weiterzuentwickeln, denn erst wenn es zum Stillstand kommt, haben die Spielverderber gewonnen.

Spielen wir

Stellen Sie sicher, dass Sie Ihren eigenen Spielplatz im Leben gestalten, in dem der Job einen Teil ausfüllen darf. Wenn zu wenig Raum für Sie selbst übrig ist, dann begrenzt sich der Handlungsspielraum und die Herausforderungen werden schnell zu notwendigen Hindernissen. Spielen Sie Ihr Spiel, und definieren Sie Ihre Ziele sowie, wer mitspielen darf und wer nicht.

Und – das ist wohl die größte Herausforderung – nehmen Sie Veränderungen nicht als Bedrohung, sondern als mögliche Chancen für neue Spielräume wahr. Nehmen Sie Ihr Spiel ernst, aber behalten Sie Ihre eigene Leichtigkeit, Ihre Freude und Freiheit. Wer wirklich spielt, geht nicht voll und ganz im Arbeitsplatz auf, sondern entfaltet sich im Spiel des eigenen Lebens und begreift den Job als Teil davon. Also, spielen wir ... (Konstantin Mitgutsch, 9.8.2021)