Janne Calment hatte ein beeindruckendes Leben: Als Kind verfolgte sie den Bau des Eiffelturms, traf als Jugendliche den Maler Vincent van Gogh, überlebte zwei Weltkriege und den Kalten Krieg, lernte mit 85 Jahren fechten, fuhr, bis sie hundert war, mit dem Fahrrad, hörte erst im Alter von 119 Jahren mit dem Rauchen auf und starb schließlich 1997 mit 122 Jahren als der wahrscheinlich bis heute älteste Mensch der Welt.

Für Wissenschafterinnen und Wissenschafter wirft Calment, die ihr Alter auf den Genuss von Knoblauch, Portwein, Gemüse und Olivenöl zurückführte, bis heute viele Fragen auf: War Calment nur ein besonderer Ausreißer bei der Alterung oder bereits Vorgeschmack auf das, was uns als Menschheit künftig erwartet? Wie alt können wir eines Tages maximal werden? Und wollen wir das überhaupt?

Fakt ist: An die Lebensdauer von Calment kommen auch heute noch die wenigsten heran. Global gesehen liegt die Lebenserwartung für Männer aktuell bei 70 und für Frauen bei 75 Jahren. Aber schon da zeigen sich große Unterschiede: Während in Japan Menschen durchschnittlich fast 85 Jahre alt werden, liegt die Lebenserwartung in der Zentralafrikanischen Republik lediglich bei 53 Jahren. Österreich liegt mit 82 Jahren im Spitzenfeld. Über hundert oder gar 115 Jahre alt werden aber weiterhin nur die allerwenigsten.

Blick ins Jahr 2150: Emma (118) ist fit wie ein Turnschuh und genießt ihre zweite Jugend (Symbolbild).
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Geht es nach einigen Forscherinnen und Forschern, könnte sich das bald ändern. Laut einer kürzlich erschienenen Studie der University of Washington besteht in reichen Ländern bis zum Ende des Jahrhunderts eine 68-prozentige Wahrscheinlichkeit, dass jemand 127 Jahre alt werden wird und eine 13-prozentige Wahrscheinlichkeit, dass ein Mensch 130 Jahre oder älter wird. Bis 2050 könnte sich die Zahl der über Hundertjährigen von derzeit rund 500.000 Menschen auf fast 3,7 Millionen Menschen erhöhen.

Die Krankheit Altern heilen

Aber wann ist beim Altern Schluss? "Nie", sagen einige umstrittene Wissenschafter wie beispielsweise der Brite Aubrey de Grey, der davon überzeugt ist, dass sich die "Krankheit" Altern eines Tages heilen lässt. Laut de Grey könnten Menschen, die Zugang zu den richtigen Therapien haben, schon ab dem kommenden Jahrzehnt in der Lage sein, dem Kreislauf der Zellalterung zu entkommen.

Umstritten, gefeiert und stets mit scheinbar unmöglichen Ideen im Gepäck: Altersforscher Aubrey de Grey.

Viele andere Forscherinnen und Forscher sind bei Hoffnungen, das Altern eines Tages ganz zu stoppen, allerdings skeptisch. Erst kürzlich veröffentlichten Wissenschafterinnen und Wissenschafter eine Studie, die zu dem Ergebnis kam, dass sich der Alterungsprozess aufgrund von biologischen Bedingungen wahrscheinlich nie aufhalten lässt. Der Hauptgrund für die gestiegene Lebenserwartung in den vergangenen Jahrzehnten sei die reduzierte Kindersterblichkeit. Aber auch eine bessere medizinische Versorgung und ein höherer Lebensstandard hätten dazu beigetragen. Im hohen Alter würde sich die Sterbewahrscheinlichkeit aber bei fast allen Menschen dramatisch erhöhen.

Biologische Grenzen

Gibt es also eine natürliche Grenze für un¬ser Alter? Und wenn ja, wo liegt sie? Laut einer Studie von Anfang des Jahres, bei der rote und weiße Blutkörperchen von mehr als 70.000 Menschen analysiert wurden, können Menschen, die in einer stressbefreiten Umgebung und ohne Krankheiten leben, theoretisch zwischen 120 und 150 Jahre alt werden. Spätestens ab diesem Zeitpunkt aber versage das körpereigene System – egal welche Gene oder Gesundheit der Mensch habe.

Grund dafür sei laut Studie, dass die Widerstandsfähigkeit des Körpers gegen Störungen immer weiter nachlasse. Laut den Forschern gebe es daher eine bestimmte Geschwindigkeit des Alterns, die der Lebensspanne eine Grenze setzt. "Wir gehen davon aus, dass die maximale Lebensspanne beim Menschen bei etwa 120 Jahren liegt", sagt Johannes Grillari, Experte für Biotechnologie und Altersforschung am Ludwig-Boltzmann-Institut für Traumatologie und an der Universität für Bodenkultur in Wien.

Wie alt ein Mensch werden könne, hänge einerseits davon ab, wie gut sich der Körper selbst "reparieren" könne, was wiederum genetisch vererbt sei und andererseits davon abhänge, welchen Schäden er ausgesetzt sei. Im Laufe des Lebens komme es aber automatisch zu vielen unentdeckten Schäden in Zellen, die auch die Reparaturfähigkeit schlechter machten – das Altern und damit verbundene Krankheiten setzten ein.Geschlagen geben will sich Grillari deshalb aber nicht.

"Es geht darum, nicht nur die Anzahl der Lebensjahre, sondern auch jene der gesunden Jahre zu erhöhen."Johannes Grillari, Biotechnologe

Stattdessen versucht er, jene Zellen zu bekämpfen, die das Altern so unbeliebt machen: sogenannte seneszente Zellen, die aufgehört haben, sich zu teilen und zu altersbedingten Krankheiten wie Krebs oder Atherosklerose beitragen. Je älter Menschen werden, desto mehr seneszente Zellen besäßen sie. Zumindest bei Mäusen gelang es bereits, seneszente Zellen zu entfernen und somit potenziell ihre Lebensspanne zu verlängern. Laut Grillari könnten aber auch beim Menschen künftig pflanzliche Wirkstoffe infrage kommen, die seneszente Zellen eliminieren können. Klinische Studien gebe es dazu bereits einige.

Aber wollen wir künftig überhaupt so lange leben? Und welche Auswirkungen hätte eine noch höhere Lebenserwartung auf unsere Gesellschaft? Einerseits würde dadurch wahrscheinlich die Bevölkerung weiter wachsen und gleichzeitig altern, wodurch sich der Druck auf das Pensionssystem erhöhen dürfte. In Österreich sind derzeit laut Pflegevorsorgebericht rund 500.000 Personen pflege- oder betreuungsbedürftig, von denen knapp die Hälfte über 80 Jahre alt ist – Tendenz steigend.

80 wird das neue 60

Viel hängt aber davon ab, wie gesund Menschen noch in hohem Alter sind. Experten wie Grillari sprechen daher statt von der Lebensspanne lieber von der Gesundheitsspanne: "Es geht darum, nicht nur die Anzahl der Lebensjahre, sondern auch jene der gesunden Jahre zu erhöhen", sagt er. Dabei könnten künftig etwa Stoffe wie das Diabetesmedikament Metformin behilflich sein, aber auch die natürliche Substanz Spermidin, die etwa in reifem Käse oder Grapefruits enthalten ist.Steigt künftig nicht nur die Lebenserwartung, sondern auch die Anzahl gesunder und fitter Jahre, könnten auch Gesellschaft und Wirtschaft profitieren.

Eine aktuelle Studie in den USA kommt etwa zu dem Ergebnis, dass jedes Jahr mehr an Lebenserwartung bei hoher Gesundheit der Wirtschaft 38 Billionen Dollar einbringt. Dafür sollten wir laut den Forschenden vor allem in Präventionsmaßnahmen gegen das Altern und damit verbundene Krankheiten investieren, anstatt Krankheiten erst zu behandeln, wenn sie auftreten.Sollte die Frage künftig also nicht lauten, wie alt wir in Zukunft werden, sondern wie gesund wir altern? Denn wie erstrebenswert ist es, 110 oder 120 Jahre alt zu werden, wenn schon ab 90 Körper und Geist den Bach hinuntergehen?

Wenn wir künftig aber als 80-Jährige noch Marathons laufen können, sähe die Sache schon anders aus.Ein längeres Leben bei besserer Gesundheit hätte wohl auf die gesamte Lebensplanung einen Einfluss, schreiben etwa Wissenschafterinnen der London Business School. Die Phasen, in denen Menschen heiraten, ein Haus bauen, eine Karriere beginnen oder Kinder ¬bekommen, könnten sich künftig noch weiter nach hinten verschieben. Zudem könnten Fortbildungen, berufliche Neuorientierungen und größere private Veränderungen noch bis ins hohe Alter möglich sein und das Leben bald in wesentlich mehr Stadien unterteilen.

Relativ gewiss ist: 150 Jahre alt wird wohl auch in naher Zukunft kaum jemand werden. Zu einem gesunden Leben kann aber schon heute jeder etwas beitragen: durch eine gesunde Ernährung, regelmäßige Bewegung, kein zu hohes Körpergewicht und den Verzicht auf Rauchen und übermäßigen Alkoholkonsum, wie es in einer Harvard-Studie heißt. "Es findet gerade ein Paradigmenwechsel statt, bei dem wir erkennen, wie wichtig es ist, schon früh etwas für die Gesundheit im Alter zu tun", sagt Grillari. Das heißt: Wir können das Altern zwar (noch) nicht aufhalten. Aber wir können daran arbeiten, dass es künftig noch schöner und besser wird. (Jakob Pallinger, 7.8.2021)